Doppelte Symbiose

Amselweibchen im Efeu

Im März raschelt es relativ oft zwischen den Efeublättern. Unsere Amseln lieben Obst, und nach dem Winterfrost scheinen die bläulichen Steinfrüchte endlich weich und reif genug.

Mit jedem Bissen nimmt die Amsel mehrere Samen auf, um sie an anderer Stelle wieder anzupflanzen. Es ist das Ende einer Geschichte, die ein halbes Jahr zuvor ihren Anfang nahm. Im September waren die Blüten des Efeus bei den Bestäubern genauso beliebt, wie es jetzt im Frühling die Früchte bei den Vögeln sind. Die folgenden Fotos habe ich im Herbst an der gleichen Stelle aufgenommen.

Pflanzen mussten im Laufe ihrer Evolution in verschiedenste Symbiosen investieren, um sich erfolgreich durchzusetzen. Der Efeu hat dabei einen eigenwilligen Zeitplan gewählt, um die Mitbewerber auszustechen. Sowohl seine Blüten als auch seine Früchte scheinen unwiderstehlich. Tatsächlich sind sie aber zu ihrer Jahreszeit fast konkurrenzlos. Im Herbst blüht er als einer der letzten, und frisches Obst ist zu Frühlingsbeginn eine Seltenheit. Die Amsel weiß den seltenen Leckerbissen zu schätzen und stopft eine Frucht nach der anderen in sich hinein. Auch sie hat ihre Konkurrenten, und nur wer zur rechten Zeit am rechten Ort ist, setzt sich durch und wird satt.

Hinzu kommt, dass der Efeu erst blüht und Früchte bildet, wenn er eine gewisse Größe erreicht hat. Sobald er an einem neuen Standort angekommen ist, bildet er lieber Ausläufer. Das ist die billigere Form sich zu vermehren, denn Symbiosen sind halt auch Beziehungen und folglich anstrengend.

Dachbegrünung ohne Substrat

Dachbegrünung

Vor ein paar Monaten habe ich eine Dokumentation über Dachbegrünung in Berlin gesehen. Bei Neubauten ist dort ein entsprechender Prozentsatz mittlerweile verpflichtend, und da werden dann Tonnen an Substrat mit dem Kran aufgebracht, nur um Mauerpfeffer anzupflanzen. Der wächst bei uns auch ohne Unterlage.

Dass unser Dach teilweise begrünt ist, war nicht geplant. Es ist der Faulheit geschuldet. Ich hatte keine Lust, das Moos zu entfernen, und irgendwann dachte ich mir, da geht vielleicht noch mehr. Einen Bepflanzungsplan verfolge ich nicht. Sukkulenten nehme ich nur dann im Gartencenter mit, wenn die hoffnungslos ertränkten Restposten um einen Euro zu haben sind.

Am Boden blüht die Hauswurz bei uns nie. Das Dach ist ihr das liebste Habitat. Im Sommer ist es dort unerträglich heiß und trocken, im Winter kalt und lange schneebedeckt. Manchmal fällt eine Gruppe Hauswurzen herunter, dann helfe ich den Pflanzen wieder hoch. Irgendwann halten sie sich doch mit ihren Wurzeln an den Dachziegeln fest, aber Erde scheint eher zu stören.

Das Dach ist an den betroffenen Stellen nicht besonders steil, und ganz ohne Nährstoffe scheint es auch nicht zu gehen, denn die ersten Moospolster zeigen sich bevorzugt dort, wo die Zwetschkenbäume im Herbst etwas Laub darüberstreuen.

Die bepflanzten Dachstellen schauen in jeder Jahreszeit anders aus. Im Sommer ist das Moos völlig vertrocknet, dafür blüht die Hauswurz, und wenn sich die anderen Gartenpflanzen im Herbst zu ihre Ruhezeit zurückziehen, quellen die Moospolster auf, dass man ihnen beim Wachsen zuschauen kann. Jetzt, Anfang November, sieht das Dach so aus:

Was im Sommer wie tot schien, schlief nur und erwacht in der feuchten Nebelluft zu neuem Leben. Sobald der Frühling dann den Schnee schmilzt, hat das Moos so viel Energie getankt, dass sich an manchen Stellen kleine zarte Blüten zeigen.

Diese Pflanze, die stammesgeschichtlich älter ist als die meisten anderen ihrer Gartenkollegen, verfolgt jahreszeitlich gesehen einen gegenläufigen Wachstumsplan. Ich vermute, sie stellt die Jahresschwankungen der Keeling-Kurve auf den Kopf.

Mauna Loa CO2 monthly mean concentration DE

Quelle: Wikimedia Commons

Seit den 1950er-Jahren wird auf Hawaii die CO2-Konzentration in der Atmosphäre gemessen. Dabei zeigt sich nicht nur die allseits bekannte Zunahme durch fossile Brennstoffe, sondern auch eine Jahresschwankung. Von Anfang Mai, wenn die Wachstumsphase der Vegetation so richtig Fahrt aufnimmt, bis Mitte September sinkt der CO2-Gehalt. Am stärksten steigt er hingegen im Herbst (kleine Grafik links oben, der Dezember fehlt und die Linien passen durch die jährliche Zunahme nicht zusammen). Das ist genau der Zeitraum, in dem unser bemoostes Dach zu grünen beginnt. Ich finde das sehr sympathisch, wie Moos seit Uhrzeiten leise und unscheinbar gegen den Lauf der Jahreszeiten protestiert.

Zwischenzeit

Honigbiene auf Krokus

Beim Blick in den Garten stellt sich jedes Jahr um diese Zeit die gleiche bange Frage: Hat der Winter schon mit dem Aufhören angefangen, oder ist gar der Frühling mit dem ersten Anfangen wieder fertig? Auf der einen Seite liegt noch Schnee, auf der anderen Seite scheint die Sonne bereits kräftig und an der Südseite des Flieders, wo die Erde langsam auftaut, steht eine einzelne Gruppe lila Krokus in voller Blüte.

Bin ich zu früh, wenn ich jetzt schon Tomaten vorziehe? Werden die Kürbisse nicht längst aus dem Topf herausgewachsen sein, wenn die letzte Frostgefahr gebannt ist und die richtige Zeit gekommen ist, sie ins Freie zu setzen?

Jedes Jahr hat ein anderes Timing. Manchmal ist im Februar schon Frühling, und im nächsten Jahr will der Winter ewig nicht loslassen. Die Honigbienen sollten damit eigentlich den meisten Stress haben, aber sie erledigen einfach nur ungerührt ihren Job. Kaum ist die Temperatur über dem kritischen Niveau, weiden sie in der Frühlingssonne die ersten Krokusblüten ab. Sitzen die Bienen vorher auch im Stock und diskutieren, ob es schon Zeit ist oder noch viel zu kalt?

Vermutlich nicht. Mittlerweile sind die ersten Kürbis- und Zucchinisamen am Fensterbrett aufgegangen, der Salat keimt, und mit der Arbeit vergeht die Lust, darüber nachzudenken, wann der richtige Zeitpunkt ist. Einfach tun und in die Gänge kommen. Verschiedene Tranchen gestaffelt setzen. Wenn es für die ersten Pflanzen zu früh ist, kann ich die zweite Garnitur nachsetzen. Wahrscheinlich machen es die Bienen genauso. Die Gruppe, die zu früh fliegt und dem Schlechtwetter zum Opfer fällt, sehen wir nicht. An den Frühblühern beobachten wir nur die Erfolgreichen, die den perfekten Moment erwischt haben. Für sie scheint die Sonne richtig, um sie schön ins Bild zu setzen.

Taubenschwänzchen beim Tanken

Taubenschwänzchen

Es heißt, dass man bei manchen Sportwagen den Motor an der Tankstelle schon alleine deshalb abstellen muss, weil sonst der Tank nie voll wird. Das Taubenschwänzchen hat ein ähnliches Problem, nur stellt es bei der Nahrungsaufnahme den Motor eben nicht ab. Sein Schwirrflug ist so energieaufwändig, dass der kleine Wanderfalter je nach Pflanzensorte pro Tag zwischen 500 und 5000 Blüten besuchen muss, um seinen Nektarbedarf von 0,5 Milliliter zu decken.

Hat das Taubenschwänzchen einmal eine geeignete Nahrungsquelle entdeckt, grast es unermüdlich alle Blüten ab, wie zum Beispiel bei unseren Bartnelken, wo die Falter zur Zeit oft stundenlang herumschwirren. Später im Sommer finde ich sie dann vor allem am Phlox. Bezüglich der Nektarpflanzen sind die Taubenschwänzchen aber nicht wählerisch, Hauptsache die Blütenkelche sind lang und eng, um Nahrungskonkurrenz auszuschließen. Ihren an diese Pflanzenform perfekt angepassten Rüssel rollen sie beim Flug immer wieder ein und erst kurz vor der Blüte wieder aus, wie man auf einem der Fotos gut erkennen kann.

Heupferde auf Margeriten

Larve des Grünen Heupferds auf Margerite

Unser Garten hat zwei Teile – den sozialverträglichen und den, wo keiner rein sieht. Hinter dem Haus steht die Wiese die meiste Zeit kniehoch, vorne wird die ganze Fläche regelmäßig gemäht. Der eine Teil gefällt mir, der andere den Nachbarn, und bei den Margeriten sind wir uns einig. Die dürfen nicht nur bei uns im Vorgarten bleiben, die zieren auch viele andere Rasenflächen in der Gegend, bis sie verblüht sind.

Es ist wie ein Sport: Man muss ein gutes Auge haben und seinen Garten kennen, um zu wissen, an welcher Stelle im Frühjahr die zarten krausen Blätter ans Licht kommen. Aus diesen wachsen dann im Mai die Blütenstängel empor, und bis Anfang Juni hat man so einen weißen Blütenstrauß mitten in der Wiese stehen.

Insekten habe ich bislang auf den Margeriten wenige entdeckt. Schmeißfliegen, Schwebfliegen und Schenkelkäfer sind mir aufgefallen, maximal noch einzelne Wildbienen – die Honigbiene hat um diese Zeit längst schmackhaftere Nahrung.

Dieses Jahr tummeln sich aber die Grünen Heupferde recht zahlreich auf den weißen Blüten. Noch sind sie klein und unscheinbar, aber vom Schlüpfen im Frühjahr bis zum fertigen Insekt im Oktober durchlaufen sie acht verschiedene Stadien. Und im Gegensatz zu vielen anderen Insekten schauen auch die sieben Larvenstadien fairerweise schon fast so aus wie die adulten Tiere.