Rangordnung

Rotkehlchen

Neulich saß ich nach getaner Gartenarbeit noch ein bisschen in der Dämmerung und beobachtete einen Schatten an den Meisenknödeln. Auf die Distanz sind meine Augen nicht mehr so gut, aber das Teleobjektiv versicherte mir nicht nur, dass es wirklich das Rotkehlchen war, es zeigte mir auch, dass man nach Sonnenuntergang noch halbwegs passable Fotos machen kann. Das Licht ist weich und hat um diese Zeit einen höheren Rotanteil, das bringt das Brustgefieder gut zur Geltung.

Die meiste Zeit musste ich allerdings die Blaumeise fotografieren, denn die Gartenvögel haben eine klare Rangordnung: Kommt die Blaumeise vorbei, macht das Rotkehlchen höflich Platz, und zeigt sich auch nur ein Feldspatz, haben alle anderen sowieso Pause.

Leider stößt die Fotografie in der Abenddämmerung schnell an ihre technischen Grenzen, und die Blaumeise sah aus wie auf dem nächsten Bild.

Blaumeise

Das kann man so natürlich nicht zeigen, also musste das Setting am nächsten Tag wiederholt werden. Gute, geplante Fotos brauchen aber viel mehr an Arbeitsaufwand. Die mache ich mit Fernauslöser. Dann kann man auch gleich das kürzere Objektiv nehmen und die Kamera mit Stativ zwei Meter danebenstellen. Ist aber eigentlich ziemlich mühsam für ein Foto von einer Blaumeise.

Das sah der Vogel ähnlich. Ich hatte die Kamera noch nicht ordentlich festgeschraubt, da meldete er sich auch schon aus der Baumkrone über mir. Zwei Minuten später hatte ich meine Fotos. Ohne Fernauslöser und aus kurzer Entfernung. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber Blaumeisen wollen anscheinend ins Rampenlicht.

Blaumeise

Es gibt auch beim Fotografieren eine Rangordnung unter den Singvögeln. Die einen sind scheu und zeigen sich in der Dämmerung. Die anderen wollen einfach ins Bild und das bei strahlendem Sonnenschein.

Der Name der Wacholderdrossel

Wacholderdrossel

Diesen Winter konnte ich mehrmals einen beeindruckenden Schwarm von bis zu 30 Wacholderdrosseln beobachten, die sich in Nachbars Garten über die auf dem Baum verbliebenen Äpfel hermachten. Das brachte mich zu der naheliegenden Frage, warum diese Vögel wohl Wacholderdrosseln heißen, wenn sie Äpfel bevorzugen und den Wacholder ignorieren.

Nicht die Vögel mögen Wacholder, sonder wir sie mit diesem. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das zumindest so. Die Rezepte, von denen eines im Wikipediaeintrag steht, wirken brutal und abschreckend. In einem alten Lexikon fand ich dann auch noch den Hinweis, dass beim Durchzug allein in Ostpreußen manchmal eine Million Vögel gefangen wurden.

Lexikoneintrag Wacholderdrossel

Das mag heute schockieren, aber die Leute hatten damals nicht nur Hunger, sondern auch so unglaublich viele Singvögel, dass sie eine ganze Million von einer Art entnehmen konnten, ohne den Bestand zu gefährden. Heute, wo ich einen Schwarm von 30 Wacholderdrosseln schon beeindruckend finde, essen wir keine Singvögel mehr, aber dafür entziehen wir ihnen die Lebensgrundlage. Das wirkt nur humaner, ist aber nicht besser.

Die Wacholderdrossel ist übrigens fast gleich groß wie eine Amsel. Trotzdem konnte das hier im Beitrag gezeigte Exemplar ohne Probleme sieben Amseln so lange von den Äpfeln weghalten, bis es selber satt war. Im Zweikampf ist eben Muskelmasse wichtiger als Größe, und beim Gewicht liegt die Wacholderdrossel deutlich vorne. Auch das zeigt den Luxus früherer Zeiten. Man hat nicht die häufigste Drossel für den Verzehr gewählt, sondern die mit dem meisten Fleisch auf der Brust.

Unsere Amseln haben das Problem mit Geduld ausgesessen und gewartet, bis der Eindringling weg war. Danach waren immer noch genug Äpfel übrig, wie man auf dem letzten Bild sehen kann.

Amsel

Ein fleißiger Papa

Hausspatz Jungvogel

Universell wie das Kindchenschema ist der missmutige Blick von Jungvögeln, die auf ihr Futter warten. Auch bei den Hausspatzen hängen die Schnabelwinkel tiefer, wenn der Papa nicht gleich kommt.

Und es ist sehr oft der Papa, der die Ästlinge füttert. Die Mama sitzt entweder schon auf der nächsten Brut oder gönnt sich gegen Ende der Saison eine kleine Auszeit. Die abgebildeten Jungvögel hatten übrigens Glück. Der Papa war fleißig und fütterte ständig nach.

Wer bekommt den nächsten Brocken? Und wieder herrscht wenig Einigkeit zwischen den Geschwistern. Jeder Vogel ist davon überzeugt, dass er jetzt an der Reihe ist und gibt dies lautstark Kund. Diesmal gibt es was Grünes.

Moment! Ist das nicht eine der Heuschrecken, die ich so mühsam hochpäpple und für die ich die Wiese stehen lasse? Nein, natürlich nicht! Der Hausspatz ist von drüben gekommen. Es war also eine der Heuschrecken, die die Nachbarn mühsam hochpäppeln. Diese kognitive Dissonanz ist nochmal knapp an mir vorübergegangen.

Erste Ausblicke

Junge Blaumeise

Ein paar Tage noch, dann hat der kleine Nistkasten für die Blaumeisen wieder einmal seine Aufgabe erfüllt. Der eine oder andere Jungvogel wagt schon einen Blick ins Freie und wird am Einflugloch gefüttert. Sobald er satt ist, gibt er den Eingang wieder frei, und die Elternvögel können auch seine Geschwister versorgen.

Diese Übergangsphase währt nur kurz. Im Laufe der Woche wird sich der Nistkasten leeren, und die Jungvögel werden in den umliegenden Bäumen und Sträuchern weiter gefüttert. Nahrung, bevorzugt Raupen, ist genug vorhanden, und wie jedes Jahr spult das Blaumeisenpärchen routiniert sein Frühjahrsprogramm ab. Nur wenn eine Katze aufs Dach klettert, entfährt ihnen ein aufgeregtes: „Da-rt-t-t!“ Aber wirklich Sorgen brauchen sie sich nicht zu machen, dieser Nistkasten hängt sicher und hoch genug.

Mit einem Monat erwachsen

Amseljunges

Die folgenden Fotos stammen vom 13. Mai. Kaum zu glauben, dass diese Amsel einen Monat zuvor, am 13. April, erst geschlüpft ist. Nach zwei Wochen musste sie das Nest verlassen, und mittlerweile weigern sich die Eltern sogar, sie zu füttern.

Dabei hat der kleine Vogel überhaupt kein Sättigungsgefühl. Der ist ständig hungrig. Kein Wunder, dass er immer so unzufrieden drein sieht, egal ob frisch gebadet oder trocken.

Da trifft es sich gut, dass Mrs. Colombo ein großer Fan des Unkrautjätens ist. Stundenlang legt sie ihre letztes Jahr erworbenen Pflanzen frei und setzt Neuerwerbungen dazwischen. Die Amsel wiederum ist deshalb ein großer Fan von Mrs. Colombo und folgt ihr auf Schritt und Tritt, um in der frisch umgewühlten Erde nach Fressbarem zu suchen.

Wir kümmern uns aber nur um das leibliche Wohl, sprechen lernt die Jungamsel schon noch von den eigenen Eltern: „Siehst du die Katze?“ – „Ja, ich sehe die Katze. Siehst du sie auch?“ – „Ja, ich sehe sie auch noch, und du?“ In der Amselsprache ist das so ein eintöniges „Tut-tut-tut“ im Sekundentakt. Und immer mit Blick Richtung Katze. Man muss nur in die gleiche Richtung schauen, dann sieht man sie auch. Vor der Katze warnt der Jungvogel jedenfalls schon so gut wie die Alten.

Wenn der Sperber hinter dem Amselmännchen her ist, hört man einen ganz anderen Warnruf – viel hektischer, aufgeregter. Der Sperber ist definitiv gefährlicher als die Katze. Und was mich betrifft, bin ich sehr stolz, dass ich schon zwei Wörter Amseldeutsch kann. Passiv zumindest. Wenn ich versuche, das nachzumachen, fallen die Amseln vor Lachen vom Baum. An meinem Akzent muss ich noch arbeiten.

Und zum Schluss noch ein Bild aus besseren Tagen. Am 3. Mai war die Welt noch in Ordnung. Da war man noch souverän flauschig und gut gesättigt. Man beachte den zufriedenen Gesichtsausdruck: Gleich kommt der Papa und bringt mir einen frischen Wurm. Da kannte der Jungvogel noch keine Existenzängste. Aber das Leben schreitet unnachgiebig voran, und diese Zeit kommt nicht wieder. Those were the days, my friend…