Warum Zootiere Namen haben sollten

Der Wiener Tiergarten in Schönbrunn wird in Zukunft die Namen seiner Tiere nicht mehr nach außen kommunizieren. Der Schwerpunkt soll auf der Art und ihrem Schutz liegen, argumentiert der Direktor.

Seit ich als Kind mit meiner Großmutter von Gehege zu Gehege gegangen bin, hat sich der Zoo in Schönbrunn stark verändert. Die historischen Gefängniskäfige sind großflächigen Freiluftanlagen gewichen, in denen die Tiere möglichst artgerecht gehalten werden. Der Schwerpunkt liegt nicht mehr auf Aufbewahrung und Herzeigen, sondern auf Artenschutz und Nachzucht. Wurden früher Einzelexemplare gesammelt und ausgestellt, so sind die Zoos heute international vernetzt, führen Zuchtbücher und tauschen die Tiere untereinander, um für eine genetische Durchmischung zu sorgen. Scheinbar folgerichtig hat sich die Direktion in Schönbrunn nun dazu entschlossen, die Tiernamen nicht mehr mitzuteilen. Kein Eisbär Finja, keine Robbe Commandante, und nur noch die Pflegerinnen und Pfleger wissen, dass das neue Orang-Utan-Baby Nilah heißt. Für die tägliche Betreuung ist die Verbundenheit wichtig. Den Besuchern gönnt man diese emotionale Beziehung nicht mehr. Ihre Aufmerksamkeit will man auf die Bedrohung der Arten richten. Aber ist das gut durchdacht und schlüssig?

Betrachten wir ein Gegenbeispiel: Am Dienstag war ich im Reptilienzoo in Klagenfurt. Im Indoorbereich liegt ganz hinten Sabsi in ihrem Gehege. Sie ist ein Stumpfkrokodil und lebt seit über 40 Jahren hier. Davor wurde sie zu Forschungszwecken an einer deutschen Universität gehalten, bis sie den Wissenschaftlern zu groß wurde. Die Forscher dort wissen jetzt, dass diese Tiere bis zu zwei Meter lang werden.

Stumpfkrokodil

Sabsi paarte sich in Klagenfurt mit Pascha. Ihre Nachkommen leben heute in mehreren europäischen Zoos. Stumpfkrokodile werden gerne genommen, weil sie kleiner und leichter zu halten sind als andere Krokodile. Mittlerweile ist Sabsi aus dem fortpflanzungsfähigen Alter, ihr Partner ist verstorben, und sie kann wegen ihrer mürrischen Art nicht mehr vergesellschaftet werden. Sie duldet auch kaum noch Pfleger in ihrer Nähe. Wenn Helga Happ, die Leiterin des Reptilienzoos in Klagenfurt, die Scheiben putzt, lenkt ihr Dackel vor dem Gehege das Krokodil ab.

Man muss nicht lange nachdenken, um zu wissen, dass die Pflege eines altersschwachen Tieres nicht zu den finanziellen Aktivposten eines Zoos zählt. Baby-Krokodile ziehen nicht nur mehr Besucher an, man kann sie wahrscheinlich auch noch verkaufen. Wenn der Reptilienzoo Happ stattdessen Sabsi weiter pflegt und das Nachzuchtprogramm so lange aussetzt, ist das zwar nicht im Sinne das Artenschutzes, aber es sagt sehr viel darüber, wie hier mit Tieren umgegangen wird.

Das Europäische Zuchtprogramme hingegen ist keine Garantie für artgerechte, einheitliche Pflegestandards. In einem Zoo haben die Eisbären ein weitläufiges Gehege, im anderen werden nur die Mindeststandards eingehalten. Hat das Tier einen Namen, bauen die Besucherinnen und Besucher eine emotionale Beziehung zu „ihrem“ Eisbären auf und verfolgen die Biographie genau. Sie wissen, wer die Eltern sind, wo das Exemplar als Junges gespielt hat, in welchem Zoo es dann untergebracht war, und wo es jetzt wohnt. Wenn dann Videos auftauchen, in denen das Tier offensichtlich zu wenig Platz hat und nur noch monoton hin und her marschiert, geht ein Aufschrei durch die sozialen Medien. Das spart man sich, wenn man dem Publikum die Namen der Tiere verschweigt. Sie werden anonyme Zuchtmaschinen im Sinne der Arterhaltung, die man auch beliebig in unattraktive Altersquartiere verschieben kann, wenn sie ihre Fortpflanzungsaufgabe erledigt haben.

Die Absichten der Tiergartendirektion in Schönbrunn waren wahrscheinlich gut gemeint, aber die Optik ist verheerend. Es ist auch kein Wunder, dass andere Zoos hier nicht mitziehen, so hat sich der Salzburger Zoo in Hellbrunn bereits dafür ausgesprochen, die bestehende Praxis beizubehalten und weiterhin individuelle Namen zu vergeben und zu kommunizieren. Damit hängt die Wiener Entscheidung endgültig in der Luft und ist maximal geschäftsschädigend. Der Eisbär hat dann im Herkunftszoo ein Namensschild, ist in Schönbrunn anonym untergebracht und wird am nächsten Gehege wieder persönlich bezeichnet. Dem Wiener Tiergarten entgehen maximal die Einnahmen aus den Patenschaften, die man jetzt nur noch für einzelne Arten und nicht mehr für bestimmte Exemplare abschließen kann.

Ein Fixpunkt bei den jährlichen Zoobesuchen mit meiner Großmutter waren die Galapagos-Riesenschildkröten. Ein Exemplar hatte eine beschädigte Panzerplatte, und es dauerte Jahrzehnte, bis sich das Loch endgültig schloss. In der Zwischenzeit bin ich nicht nur erwachsen geworden, ich habe bei der Beobachtung dieses Heilungsprozesses auch sehr viel über unterschiedliche Lebenserwartungen und den Verlauf der Zeit gelernt. Möglich ist das nur, wenn man ein Exemplar über die Jahre hinweg identifizieren kann. Dazu gehört auch ein eindeutiger Name. Das ist unsere Methode zu zeigen, dass das Zootier nicht nur ein Bestandteil des Genpools ist, den man für die Arterhaltung weiterzüchtet, sondern auch ein Individuum mit einer eigenen Biographie, die im Idealfall am Ende auch eine angemessene Betreuung im Alter einschließt.

Nachtrag:
Kaum hatte ich meinen Beitrag fertig, hat der Zoo mit einer schwammigen Erklärung zurückgerudert:
https://wien.orf.at/stories/3215736/
Die Namen bleiben, man will sie nur nicht mehr als Marketinginstrument in den Vordergrund stellen. Das ändert nichts an meiner Argumentation, dass man damit vom individuellen Schicksal der Zootiere ablenkt.


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Variabler Frühlingsanfang

Krokus im Schnee

Der Frühlingsanfang ist ja bekanntlich Auslegungssache: Meteorologisch beginnt er am 1. März, astronomisch war die Tagnachtgleiche dieses Jahr am 20., phänologisch setzt der Vorfrühling mit den Schneeglöckchen ein, und persönlich ist mir sowieso bis weit in den Mai hinein noch kalt. Für mich hat das Jahr aber auch nur zwei Jahreszeiten: In der einen warte ich, dass es wärmer wird, und die zweite Hälfte des Jahres warte ich dann darauf, dass es wieder kälter wird.

Am Samstag fielen in Südkärnten gut fünf Zentimeter Neuschnee, der Sonntag begann mit knackigen minus sieben Grad unter Null, und so kämpften sich in der Früh die Krokusblüten nicht aus der Erde, sondern aus dem Schnee empor.

Krokus im Schnee

Nicht nur mir war das zu viel. Auch die Amsel, die letzte Woche noch voller Tatendrang im Schlamm nach Nistmaterial wühlte, fror sich stattdessen im Nussbaum einen Ast ab und stritt anscheinend mit ihrem Partner. Dabei war der diese Woche beim Frieren wenigstens mit von der Partie, während er sich beim Nestbau auch dieses Jahr wieder nicht beteiligte und stattdessen die letzten matschigen Äpfel vernichtete. Weil es ordentlich werden soll, baut Frau Amsel das Nest halt lieber allein.

Die echten Helden sind aber im Gartenteich zugange und es sind die Spring- und Grasfrösche. Während die Erdkröten letztes Jahr am 15. März bereits mit der Paarung beschäftigt waren, habe ich dieses Jahr noch keine einzige gesehen. Das ist nicht verwunderlich, denn die Wasseroberfläche ist nur am Tag eisfrei, während sie in der Nacht regelmäßig zufriert. Schwimmen ist da für nachtaktive Tiere nicht so leicht.

Die Grasfrösche haben vor mittlerweile mehr als zwei Wochen trotzdem das Kunststück fertig gebracht, den ersten Laichballen im Wasser zu platzieren, der dann am Morgen von einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt war. Nur die Harten kommen in den Gartenteich.

Die Paarung der Froschlurche ist übrigens Präzisionsarbeit und erfordert genaues Timing. Die auf dem letzten Foto sichtbare Gallerthülle dient nämlich nicht der Ernährung, sondern dem Schutz der Eier. Sie bildet sich im Laufe des ersten Tages durch Aufquellen. Unmittelbar nach der Eiablage ist diese Hülle noch durchlässig, und da muss die Befruchtung erfolgen, weil auch die Samenzellen einige Momente später nicht mehr durch die Gallerte dringen könnten. Umso erstaunlicher ist es, dass fast immer alle Froscheier zu Kaulquappen heranreifen. Selbst kurzzeitiges Einfrieren kann sie nicht stoppen.

Der Hamster und die Rote Liste

Feldhamster

In den letzten Tagen sind mir zwei Meldungen über den Feldhamster ins Auge gestochen: Die Art wurde von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) auf die Rote Liste gesetzt. Das mag verwundern, da der Feldhamster in der EU schon länger streng geschützt ist. In Deutschland schätzt man die verbliebene Individuenzahl beispielsweise auf magere 10.000. Bislang ging man aber davon aus, dass in Osteuropa noch reichliche Bestände vorhanden sind. Dem ist nicht so, und jetzt ist es auch amtlich: Der Feldhamster ist eine weltweit vom Aussterben bedrohte Spezies.

Für den Artenschwund ist diese Meldung eher eine belanglose Randnotiz: Angesichts der Tatsache, dass die meisten Arten unmittelbar nach ihrer Entdeckung aussterben, weil ihre Bedrohung mit dem Eindringen des Menschen in ihren Lebensraum zusammenfällt, führt man Rote Listen eher für Agenturmeldungen als aus wissenschaftlichen Gründen. Den Kampf um die Artenvielfalt verlieren wir ganz unauffällig in den tropischen Regenwäldern, wo wahrscheinlich mit jedem gefällten Baum mehrere endemische Insektenarten für immer verschwinden, aber die Tiere unserer Kindheit gehen uns halt näher, und wenn es aufrüttelt, hat so eine Schlagzeile auch ihre Berechtigung: Der Hamster läuft Gefahr, in den nächsten 30 Jahren für immer von diesem Planeten zu verschwinden!

Die zweite Meldung fand ich bemerkenswerter: Der Europäische Gerichtshof hat ein Urteil des Wiener Magistrats gegen einen Bauarbeiter bestätigt, der im Rahmen eines Bauprojekts einen leeren Hamsterbau beschädigt hatte. Das Wiener Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass die Bauten der Tiere auch dann zu schützen sind, wenn ihre Bewohner nicht zu Hause sind, und ließ sich diese Rechtsmeinung vom EuGH bestätigen.

Im Grunde genommen ist das nur konsequent und logisch: Wenn wir wollen, dass Gesetze auch etwas bewirken, müssen wir die bedrohten Tierarten und ihre Lebensräume gleichermaßen unter Schutz stellen. Bei der Bauordnung ist es ja ähnlich: Wer ein neues Gebäude errichtet, muss dieses barrierefrei gestalten, auch wenn es sich dabei um einen Bürokomplex für eine Firma handelt, die gar keine Behinderten beschäftigt. Fehlende Blindenleitsystem und Rollstuhlzugänge sind eine Barriere und somit Diskriminierung für all jene, die sich vielleicht in Zukunft bei dieser Firma bewerben wollen.

Ich weiß, dass dieser Vergleich ganz schrecklich hinkt, aber es geht mir auch nicht darum, Behinderten- und Tierschutz einander gegenüber zu stellen. Das Rechtsprinzip dahinter sollte das gleiche sein: Wenn wir ein Gesetz nicht nur zum Spaß einrichten, sondern damit auch etwas bewirken wollen, müssen wir es auch entsprechend konsequent anwenden. Die entscheidende Frage ist nicht, ob eine Wiese, auf der wir bauen wollen, von geschützten Tieren bewohnt wird, sondern ob sie einen geeigneten Lebensraum für diese Arten darstellt. Und deshalb wurde der Bauarbeiter vom Magistrat der Stadt Wien für die Zerstörung eines leeren Hamsterbaus bestraft.

Fragt sich nur noch, warum die gleiche Gemeinde Wien auf dem Gelände des ehemaligen Heeresspitals Wohnungen errichtet und dafür ein großangelegtes Projekt zur Absiedelung der dort ansässigen Ziesel initiiert hat. Im Idealfall bleiben am Ende so eines Projektes doch auf dem Baugrund leere Zieselbauten zurück, die jahrelang als ideale Wohnstätte für die geschützten Nager gedient hatten, und für die Zerstörung eines leeren Hamsterbaus hat die gleiche Gemeinde – vom EuGH abgesegnet – gerade einen Bauarbeiter bestraft. Der Widerspruch will mir irgendwie nicht in den Kopf.

Den Feldhamstern vom Meidlinger Friedhof sind so komplizierte Gedanken glücklicherweise Fremd. Die Fotos sind von gestern Nachmittag. Es war der bislang heißeste Tag des Sommers mit Temperaturen bis zu 35 Grad. Zuerst war weit und breit kein Hamster zu beobachten, schließlich lässt sich die ärgste Hitze ganz gut in den Erdbauten aussitzen. Als ich um sechs wieder gegangen bin, knabberte aber fast hinter jedem Grabstein einer der Nager in der Wiese. Mein Liebling war der auf dem ersten Foto. Der hat so einen herrlichen Silberblick – er scheanglt, wie man bei uns sagt, als hätte er gerade ein ziemlich gutes Kraut gefuttert.

Am Ende habe ich mich keine zwei Meter neben einen Hamster auf den Weg gesetzt, der sich dadurch nicht stören ließ. Warum die Tiere so ruhig bleiben, sieht man auf den letzten beiden Bildern: Im Zweifelsfall ist immer irgendwo ein Loch in der Nähe, in das man verschwinden kann.



Weiterführende Links:

 

Umweltschutz für Schilderbürger

Violette Sommerwurz Schild

Am Rande einer Brachfläche im 11. Bezirk hat die MA 42, die umgangssprachlich immer noch Stadtgartenamt heißt, obwohl sie sich längst in „Wiener Gärten“ umbenannt hat, vor einiger Zeit zwei Schilder aufgestellt, mit denen sie über die Violette Sommerwurz informiert.

Diese Pflanze kann etwas Besonderes: Sie bringt schöne Blüten hervor ohne dafür Blätter zu benötigen. Für dieses Kunststück setzt sie sich einfach auf die Schafgarbe und zapft diese an. Die Schafgarbe ist weit verbreitet und deshalb als Wirtspflanze eine gute Wahl, aber mit dem Rückgang nährstoffarmer Wiesen tut sich die Violette Sommerwurz immer schwerer, geeignete Unterlagen zu finden, weshalb sie in Österreich unter Schutz steht.

Baustelle HyblerparkUmso mehr hat mich gewundert, dass das Erdreich hinter den Schildern in den letzten Tagen tiefgreifend abgetragen wurde. Aus der „Gstätten“, wie man in Wien zu ungenützten Brachflächen sagt, wurde eine Baustelle, und in den nächsten Monaten wird hier die rundum fleißig tätige Stadterweiterung ein weiteres Gebäude aus dem Boden schießen lassen. Aber was ist mit der Violetten Sommerwurz?

Baustelle Hyblerpark/Modecenterstraße Die lebt, ich habe nachgefragt, jetzt auf dem schmalen Grünstreifen neben der Baustelle. Behutsam umgesetzt von der MA 42 unter der Aufsicht der MA 22, das ist der Umweltschutz. So kann die Violette Sommerwurz auch weiterhin ihre zahlreichen Samen vom Wind verbreiten lassen, wie auf dem Schild steht. Auf dass sie irgendwo auf dem umliegenden Asphalt eine neue Heimat finden.

Der Vorteil des sechsten Artensterbens ist, dass es vor unserer Haustür stattfindet. So können wir zu Fuß hingehen und uns den ganzen Trubel CO2-neutral aus der ersten Reihe ansehen. Und die Ursache ist auch unübersehbar. Ich habe keine Ahnung, ob in Österreich wirklich jeden Tag zwanzig Fußballfelder versiegelt werden, wie es heißt, aber die genauen Zahlen brauche ich auch nicht. Ein Teil dieser Fußballfelder war hier früher einmal die Simmeringer Haide – schreibt man mit a und spricht man auch mit drei: simaringahad, ein Wort, das letzte a etwas länger. Es lohnt sich aber nicht, die genaue Aussprache zu lernen. Die ehemalige „Gstätten“, Stichwort Magerwiese, ist längst unter Häuserblöcken verschwunden, denn die wachsende Bevölkerung braucht Platz. Dagegen kann man wahrscheinlich gar nichts machen.

Was mich am meisten ärgert, sind komischerweise die Schilder, die uns weismachen wollen, dass in diesem Zusammenhang auch auf die Umwelt Rücksicht genommen wird. Statt uns Gedanken zu machen, wie wir auf dem knapper werdenden Lebensraum trotzdem ein funktionierendes Miteinander von Mensch und Natur erwirken können, beschäftigen wir uns lieber mit PR-Maßnahmen und Schönheitskosmetik.

Ein tierfreier Garten im Stadion

Wörthersee Stadion For Forest

Klagenfurt hat 100.000 Einwohner und ein Fußballstadion mit 30.000 Sitzplätzen, das so überdimensioniert ist, dass der Zweitligist Austria Klagenfurt auch dann noch vor leeren Rängen spielt, selbst wenn einmal alle Fans zum Match kommen. Nach der EURO 2008 hätte der Neubau eigentlich auf eine vernünftige Größe verkleinert werden sollen, aber irgendwie war das Geld plötzlich weg, also leistet man sich seither lieber die Erhaltung eines Stadions, das so gut wie nie ausgelastet ist.

Das kostet deutlich mehr und mag nach Schildbürgerstreich klingen, hat aber den Vorteil, dass sich mit so einem leeren Stadion recht witzige Dinge anstellen lassen. So kann man zum Beispiel eine Bleistiftzeichnung von Max Peintner aus den 1970er Jahren in die Realität umsetzen, wie das der Basler Künstler Klaus Littmann gemacht hat. Seine Kunstinstallation „For Forest“ ist noch bis zum 27. Oktober 2019 bei freiem Eintritt zu besichtigen, was dazu führt, dass das Wörthersee Stadion zurzeit so voll ist wie schon lange nicht mehr. Besucher aller Altersstufen spazieren über die Ränge des Stadions und werfen einen Blick auf einen künstlich gestalteten Mischwald, der sich von Max Peintners phantastischer Zeichnung eigentlich nur dadurch unterscheidet, dass man ihn nicht begehen kann – aber das würde dieses fragile Gebilde wahrscheinlich auch nicht lange überleben.

For Forest

16 verschiedene, für die Region typische Baumarten hat das Team um den Landschaftsarchitekten Enzo Enea so angeordnet, dass ein möglichst natürlicher Eindruck entsteht. Ja, es ist sogar geplant, diese Waldskulptur nach der Installation auf einem stadtnahen Gelände tatsächlich zu verpflanzen und so dauerhaft in der Erinnerung zu verwurzeln.

Aber was ist das jetzt eigentlich: Kunstinstallation oder Wald? Oder beides? Wird der Wald zur Kunst, sobald man ihn in einem Stadion ausstellt? Und ist es überhaupt möglich, einen naturnahen Wald künstlich aus verschulten Bäumen zusammen zu stellen? Was mich betrifft, so war der Anblick äußerst beeindruckend. Ich war überrascht, wie real der Wald im Stadion gewirkt hat, wie ein hyperrealistisches 3D-Gemälde im Großbildformat. Auch der Zeitpunkt ist perfekt gewählt, man kann den Bäumen richtig zusehen, wie sie sich herbstlich verfärben und täglich ihr Erscheinungsbild wechseln.

Nur die Fauna hat sich nicht täuschen lassen. Ich habe während meiner Besichtigung keinen einzigen Singvogel entdeckt, wenn man von ein paar Stadttauben auf dem Stadiondach absieht, aber die wohnen sicher dort und hätten sich ein Match auch angesehen. Das Rotkehlchen, das mich später aus dem Holunder angeblinzelt hat, als ich wieder zu Hause im Garten war, hätte über den Stadionwald ein eindeutiges Urteil gefällt: Das ist eine Kunstinstallation, die mit einem richtigen Wald wenig gemeinsam hat. Macht aber auch nichts. Das wird sich schon noch ändern, wenn die 299 Bäume Ende Oktober tatsächlich in der Nähe von Klagenfurt ausgewildert werden, und die Natur den Rest erledigt. Dann wird aus der Kunstinstallation, die zurzeit im Wörthersee Stadion die Besucher erstaunt und zum Nachdenken anregt, schon noch sehr schnell ein ganz normaler Wald.