Eine Österreichische Natter

Wenn ich im Nachhinein dieses Foto betrachte, sehe ich eine verpatzte Gelegenheit. Ich hätte jede Zeit der Welt für eine perfekte Aufnahme gehabt. Man muss aber auch ehrlich sagen: Ohne Mrs. Columbo hätte ich gar kein Bild. So habe ich wenigstens eine Aufnahme, die eine exakte Bestimmung zulässt.

An einer Stelle, wo ich manchmal Blindschleichen sehe, lag neulich eine vor mir auf dem Weg. Sie kam mir seltsam vor, und sie verhielt sich auch ungewöhnlich. Sie stellte sich tot. Das tun Blindschleichen nur, wenn sie es auch sind. Normalerweise „laufen“ sie weg. Ich bewegte mich auch nicht und nahm Maß: Die Waschbetonplatte hat 60 Zentimeter, und dieses Wesen lag ausgestreckt darüber. Zu lang für eine Blindschleiche. Während mir langsam dämmerte, dass ich hier eine Schlange vor mir hatte, stand ich immer noch paralysiert wie die sprichwörtliche Maus vor derselben.

Wenn man nicht weiß, was man tun soll, setzt man eine Übersprungshandlung. Man gähnt, kratzt sich am Kopf oder putzt einen Fussel von der Kleidung. Ich rufe nach Mrs. Columbo. Das ist insofern praktisch, als die meist weiß, wie es weiter geht. Sie fragt mich zum Beispiel, wo denn jetzt wieder mein dämlicher Fotoapparat ist, und so bin ich doch noch zu folgender Aufnahme gekommen:

Schlingnatter

Auf dem Foto verschwindet die Schlange bereits im Gestrüpp, aber man sieht, was nötig ist. Wir haben eine runde Pupille, die dunkle Linie an der Seite, das Krönchen am Hinterkopf und in Österreich sind wir auch: Coronella austriaca, die Schlingnatter. Sie ist in ganz Europa beheimatet, aber als der Wiener Arzt Joseph Nicolaus Laurenti sie 17681 zum ersten Mal beschrieb, machte er sie zur Österreicherin. Damals war das Land halt noch größer.

Die Schlingnatter ist nicht selten, man sieht sie nur kaum. Perfekt getarnt streift sie durch ihr relativ großes Revier. Dass sie bei uns gerade da vorbei kommt, wo normalerweise Blindschleichen sind, ist kein Zufall. Wenn sie eine findet, beißt sie zu und schlingt sich dann um die Beute. Die Natur ist selten zimperlich.


  1. Auf der letzten Seite seiner Schrift „Specimen Medicum, Exhibens Synopsin Reptilium Emendatam cum Experimentis circa Venena“ gibt es eine erstaunlich realistische Zeichnung (Tab. V., Fig. 1). ↩︎

Die Simmeringer Wechselkröten

Wechselkröte

Obwohl Simmering den Zentralfriedhof und die Wiener Zentralkläranlage beherbergt, liegt der Bezirk doch am Rande der Stadt. Bis in die 1970er-Jahre waren Teile Simmerings ländlich und durch den Gemüseanbau geprägt. Die Gärtnereien sind immer noch hier, aber ländlich ist nichts mehr. Heute ist das eine dystopische Aneinanderreihung von Glashäusern, in deren künstlich geschaffener Atmosphäre nichts dem Zufall überlassen wird. Die riesigen Tanks mit Kohlendioxid zur Düngung der Gurken wirken wie die absurde Kunstinstallation eines Wortspiels: Treibhausgas eben.

Kohlendioxidtank

Man muss sich die Gegend schon von oben ansehen, um zu verstehen, wie dicht diese Konstruktionen aus Folien und Glas hier nebeneinander stehen.

Kartenausschnitt
Quelle: Stadt Wien – ViennaGIS; Kartengrundlage: Stadtvermessung, erstellt am 25.03.2025

So paradox es klingt: Diese krasse Form von Bodenversiegelung ist der Grund, warum es in diesem Gebiet eine bedeutende Population an Wechselkröten gibt. Jedes Frühjahr wandern die Tiere aus den Kleingärten links im Bild über die Straße zu den Glashäusern rechts, und wenn man genau schaut, sieht man auf der Luftaufnahme auch die dunklen Flächen, die die Amphibien magisch anziehen.

Wo alles abgedeckt ist, kann der Regen nicht versickern, und man braucht große Auffangbecken, um Überschwemmungen zu vermeiden. Deshalb gibt es zwischen den Gewächshäusern immer wieder Folienbecken, die das Wasser auffangen. Ein Teil der Flüssigkeit verdunstet, ein anderer wird zur Bewässerung verwendet, und da Fischbesatz den Nitratgehalt zu sehr erhöhen würde, sind diese schmucklosen Teiche ideale Laichgewässer für Wechselkröten.

Folienteich

Jetzt fragen sich manche wahrscheinlich, wie diese Population überleben kann, wo doch hier zwangsweise Autoverkehr herrscht, denn das Gemüse will ja auch irgendwie zum Verbraucher. Krötenzäune sind in der Stadt, wo Platz Mangelware ist, keine Option. Die Lösung ist eine kleine, gut organisierte Truppe, die den Amphibien über die Straße hilft. Da gibt es Freiwillige, die sich jeden Abend über das Wanderwetter austauschen: Kein Wind, möglichst Regen und über acht Grad sind ideal. Dann schwingen sich die Unerschrockenen aufs Rad und fahren ein zirka zehn Kilometer langes Wegenetz ab, um von der Straße zu schaffen, was an Kröten, Fröschen und Molchen gerade unterwegs ist. Hauptsächlich sind es allerdings Wechselkröten. Die kommen mit den Bedingungen am besten zurecht beziehungsweise haben sich an diese eigenartige Umgebung perfekt angepasst. Die städtische Wechselkröte ist etwas kleiner als ihre ländlichen Verwandten, und mir kommt vor, sie legt Wert auf gutes Aussehen.

Wechselkröte

Man kann nur hoffen, dass die Simmeringer Gärtner noch lange ein gutes Geschäft machen, damit dieser wunderschöne Camouflage-Schick erhalten bleibt. Wohnhausanlagen mit Teichen sind keine Alternative. Früher oder später landen in diesen Gewässern immer ausgesetzte Fische. Beim Zehngrafweg gegenüber vom Zentralfriedhof hat die Gemeinde Wien ein Laichgewässer für Wechselkröten angelegt. Im Abstand von mindestens fünf Metern führt dort ein torloser Schutzzaun herum. Ich vermute, bei dieser Distanz liegt der örtliche Rekord im Goldfisch-Weitwerfen.

Ein Frühaufsteher

Maikäfer

Der folgende Käfer lag gestern, am 19. April, im Garten auf dem Rücken. Wir waren beide etwas verwirrt.

Einen Maikäfer habe ich hier noch nie gesehen, und Mitte April ist es für ihn wahrscheinlich auch etwas zu früh. Wenn er sich auf den Klimawandel verlassen hat, dann hat er sich dieses Jahr geirrt. Der Frühling war bislang nicht allzu warm, die Kirschblüte beginnt bei uns gerade erst, und von Mailuft sind wir noch etwas entfernt.

Von den drei Jahren, die so ein Tier lebt, verbringt es nur vier bis sechs Wochen als fertiges Insekt. In dieser Zeit muss es sich vermehren und vor Fressfeinden schützen, denn die großen Käfer sind ein beliebtes Futter. Man kann sie roh, kandiert und als Suppe genießen – oder man lässt sie den tierischen Abnehmern.

Die Maikäfer haben eine interessante Strategie gegen ihre Fressfeinde entwickelt: Sie treten periodisch in Massen auf. Das hat relativ lange gut funktioniert, bis das DDT entwickelt wurde. Ich vermute, die Suppe war nicht schmackhaft genug, sonst hätte man die Hauptzutat kaum vom Flugzeug aus mit Gift besprüht.

Das Einzelexemplar in unserem Garten wird aber hauptsächlich damit Probleme haben, einen Partner zu finden, denn viele Maikäfer gibt es in unserer Gegend wohl nicht.

Das Vollmondfest der Erdkröten

Männliche Erdkröte

Seit einem knappen Monat ist der Teich eisfrei, trotzdem fanden sich vor einer Woche noch kaum Amphibien im Wasser. Ein paar Springfrösche und Bergmolche, die wahrscheinlich unter dem Eis überwintert hatten, blickten erwartungsvoll nach oben, aber sonst war es ruhig. Von Erdkröten fehlte jede Spur.

Die Explosivlaicher, die sich in einem relativ kurzen Zeitfenster zur Massenpaarung an den Laichgewässern einfinden, brauchen als Auslöser für ihre Wanderung verschiedene Signale: Die Temperatur muss steigen, im Idealfall regnet es, und meiner Meinung gehört auch der Vollmond dazu. Irgendwie logisch, denn wer reist schon gern im Dunkeln.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat man den Mond noch direkt gesehen, seither regnet es immer wieder friedlich vor sich hin, und das ist ideales Erdkrötenwetter, denn auch der nächtliche Temperaturabfall hält sich durch die Wolkendecke in Grenzen.

Männliche Erdkröte

Hoch aufgerichtet sitzen die männlichen Exemplare auf den Gartenwegen wie dieses hier auf einer Waschbetonplatte. Da hat es die besten Chancen, ein neu eintreffendes Weibchen abzupassen, denn auch Tiere benützen gern die von uns angelegten Pfade. Leider gilt das nicht nur für die Wege in unserem Garten, wo ich mit einer Stirnlampe ausgerüstet bei jedem Schritt darauf achte, den Kröten auszuweichen, auch Straßen sind auf den ersten Blick eine praktische Einrichtung und erst auf den zweiten, finalen Blick eine tödliche Falle.

Männliche Erdkröte

Ob die im Dunkeln geschossenen Fotos was geworden sind, sieht man wie so oft erst am Bildschirm. Bei Langzeitbelichtung reicht die mickrige Stirnlampe, um die feine Zeichnung der schuppigen, mit Warzen überzogenen Haut stimmungsvoll zur Geltung zu bringen. Die Kamera lege ich dabei vorsichtig auf den Boden.

Männliche Erdkröte

Die Kröte sitzt die ganze Zeit über völlig starr. Nur der Goder bewegt sich, es wäre aber auch zu viel verlangt, wenn das Tier fürs Foto ergriffen die Luft anhalten würde. Die Aufmerksamkeit des Männchens liegt sowieso ganz woanders. Es wartet auf die eine Chance im Jahr, ein Weibchen zu fassen zu kriegen und seine Gene weiterzugeben.

Erdkröte Paarung

Die Klammerphase im Wasser dauert bei den Erstankömmlingen übrigens deutlich länger als bei später Eintreffenden, und so laichen alle möglichst gleichzeitig. Das erhöht die Überlebenschancen der Kaulquappen im Schwarm, damit sich in drei bis vier Jahren zumindest ein kleiner Teil der dieses Jahr gezeugten Nachkommen ebenfalls am uralten Vollmondfest der Erdkröten beteiligen kann.

Die Decke schließt sich

Eis auf dem Teich

Seit ein paar Tagen zeigt sich die erste Eiskruste auf dem Gartenteich. Um die Mittagszeit ist das Wasser am Rand noch frei, aber in kalten Nächten friert die gesamte Fläche zu. In einem normalen Winter bleibt diese Decke für zwei bis drei Monate durchgehend geschlossen.

Eis auf dem Teich

Letztes Jahr habe ich Amphibien unter dem Eis entdeckt. Zu dieser Geschichte versuche ich diesmal den Anfang zu finden. Vor allem Bergmolche und Springfrösche kann man im kalten Wasser entdecken. Sie werden Geduld brauchen, bis Ende Februar, Anfang März die Paarungssaison beginnt.

Nicht alle werden durchkommen. Das folgende Foto stammt von Mitte Februar. Dieses Bergmolchmännchen hat den letzten Winter im Teich nicht überlebt.

Bergmolch

Was für das eine Exemplar im Frühling ein trauriges Ende genommen hat, ist für seine Kollegen der Beginn einer neuen Geschichte, in der sie um die Weibchen werben und eine neue Generation Bergmolche in die Welt setzen werden.

Die kalte Jahreszeit ist immer ein Einschnitt für Amphibien und Reptilien. Auch in einer Erdhöhle an Land überwintert man nicht ohne Risiko. Frostgefahr gibt es dort genauso, und manche Fressfeinde wie der Maulwurf ruhen nie. Trotzdem ist der Verbleib im Wasser unter der Eisschicht noch einmal etwas Besonderes. Ich vermute, dass es Bergmolche in unserem Teich gibt, die diesen Lebensraum nie verlassen. Sie werden dem Namen Amphibium nicht mehr gerecht, weil sie eben nicht in zwei Bereichen leben, wie die griechische Bedeutung nahelegt.

Wenn man die Tiere im Winter unter der Eisdecke herumkriechen und schwimmen sieht, fragt man sich unwillkürlich, wie sie ohne Atemluft genügend Sauerstoff bekommen können, aber Lurche brauchen nicht unbedingt eine Lunge zum Atmen. Im Wasser nehmen sie den Sauerstoff über die Haut auf. In feuchter Umgebung geht das sogar an Land. Die an Artenzahl größte Gruppe der Schwanzlurche sind die hauptsächlich in Amerika verbreiteten Lungenlosen Salamander.