Die Kommunikation der Kohlmeisen

Kohlmeise

Ein Nistkasten in unserem Garten wurde dieses Jahr zum ersten Mal von Kohlmeisen besiedelt. Letzte Woche sind die Jungen geschlüpft, und seither bringen die Elterntiere im Minutentakt Futter.

Die Aufgaben sind dabei unterschiedlich verteilt. Das Weibchen verbringt noch längere Zeit bei den Jungen. Es wärmt sie und bringt die Ausscheidungen weg. Das Männchen ist immer nur kurz im Nistkasten, um das gesammelte Futter zu übergeben. Die meiste Zeit sucht es in der unmittelbaren Umgebung nach Nahrungsquellen.

Auffällig ist, wie gut die beiden ihre Aktionen aufeinander abstimmen. Das funktioniert oft akustisch. Mehrmals am Tag gibt es zum Beispiel die Situation, dass das Männchen Futter bringt, während das Weibchen im Nistkasten sitzt. Dann lässt das Männchen vier Pfiffe ertönen. Die ersten drei sind zweigeteilt, dann folgt noch ein einzelner Ton. Es ist wahrscheinlich ein Wechsel von Ausatmen und Einatmen, wobei zum Schluss nur noch ausgeatmet wird. Sekunden später schießt das Weibchen aus dem Einflugloch und gibt das Nest frei.

Vogelgesang wird auf verschiedene Weise interpretiert: Als Anlocken der Partnerin, zum Abgrenzen des Reviers und als Demonstration der eigenen Fitness. Meiner Meinung nach sind die Signale ganz oft einfache Sätze. Die oben beschriebene Tonfolge heißt: Mach Platz, ich habe Futter!

Von weiter weg gibt es einen ähnlichen Ruf, der bedeutet: Komm her, hier ist Futter! Die Reaktion des Weibchens ist ähnlich: Sie saust aus dem Nistkasten, fliegt zielgerichtet zu ihrem Partner, und wenige Augenblicke später kehren beide mit Nahrung zurück. Für diese Form der Kommunikation reicht es, wenn hauptsächlich das Männchen über die Möglichkeit verfügt, seinen Gesang zu variieren. Er erkundet die Gegend, hat die Informationen und teilt sie mit.

Letztes Jahr habe ich bemerkt, dass die Amseln einen eigenen Warnruf für die Katze haben. Ich hoffe nur, die Kohlmeisen haben eine Tonfolge mit gleicher Bedeutung, denn die Katze der Nachbarn ist oft bei uns im Garten und hat den Kasten längst entdeckt. Den Weg übers Dach habe ich zwar mit Gitter blockiert, aber ich bin nicht sicher, ob meine Absperrung hält. Die Kletterfähigkeit der Katzen wird leicht unterschätzt. Sie sind gelenkig und motiviert. Fürs nächste Jahr werde ich den Nistkasten weiter nach hinten hängen. Dann besteht zwar die Möglichkeit, dass ihn die Vögel übersehen, aber er ist übers Dach nicht mehr erreichbar.

Meisenspeise

Tannenmeise

Vogelfutter war bei uns dieses Jahr eher ein Ladenhüter. Der Winter zeigte sich bislang von der milden Seite, und die Singvögel haben sich lieber rundum in den Sträuchern und an den Staudenresten bedient.

Seit dem Wochenende ist das anders. Am Freitag Nachmittag legte sich eine fünfzehn Zentimeter dicke Schneedecke über den Boden, und jetzt ist an den Futterstellen Hochbetrieb.

Eine Schüssel mit aufgeknackten Walnüssen war innerhalb von ein paar Stunden leer geräumt. Zuerst kamen die dieses Jahr besonders zahlreichen Kohlmeisen, dann gesellten sich die Blaumeisen dazu.

Besonders frech waren die Tannenmeisen. So viele von denen habe ich überhaupt noch nie im Garten gesehen. Und alle haben sie sich kurz Zeit genommen, um freundlich in die Kamera zu linsen, bevor sie sich eine Walnuss schnappten.

Wobei die Nuss wohl gewählt sein will. Gründlich wird alles umgedreht, bis man endlich das richtige Stück im Schnabel hat. Man will sich ja nicht lächerlich machen und am Ende mit einer Walnuss dazustehen, bei der man sich vielleicht etwas übernommen hat.

Es soll nämlich Nüsse geben, die so groß sind, dass selbst die kräftigste Kohlmeise damit nicht abheben kann, und zur Hoffnung gesellt sich dann schnell die Enttäuschung. Es sei denn, man wechselt kurzerhand auf ein kleineres Exemplar. Als Meise muss man halt nehmen, was man kriegen kann. Das geht uns Menschen ja ähnlich: Wir würden uns auch gern weiße Weihnachten wünschen, aber das wird sich durch den angekündigten Föhn wahrscheinlich wieder nicht ausgehen. Man kann halt nicht alles haben.

Und eines noch, bevor jetzt alle schreiben: Jö, Schnee, ich will auch! Das Zeug schaut nur auf Fotos gut aus. In Wirklichkeit muss man vor allem einmal kräftig schaufeln, und wenn er schwer ist, reißt es einem dabei fast das Kreuz ab.

Leben im Gemeindebau

Kohlmeise im Gemeindebau

Der Wiener Gemeindebau wird dieser Tage hundert Jahre alt. Er war in der Zwischenkriegszeit Vorzeigeprojekt des Roten Wien und machte moderne Wohnstandards auch für Arbeiterfamilien verfügbar. Zwischen 1919 und 1934 entstanden 65.000 Wohnungen in 382 Bauten, deren Architektur bis heute das Stadtbild prägt, und bei jungen, weniger betuchten Familien haben die mittlerweile großteils sanierten Anlagen nichts an Attraktivität verloren.

Kohlmeise im GemeindebauBei uns gegenüber ist beispielsweise vor ein paar Wochen eine junge Kohlmeisenfamilie in ein Lüftungsrohr eingezogen. Frühere Generationen lebten noch in Baumhöhlen im Wald, meist als Nachmieter von Spechten. Die Bausubstanz war oft minderwertig und bei Schlechtwetter regnete es in die Kinderstube.

Demgegenüber ist die neue Bleibe vollständig wasserdicht, eingepackt in Vollwärmeschutz und hat Morgensonne. Mit Warmluftheizung aus dem Gebäudeinneren machen Schlechtwettereinbrüche Anfang Mai keine Probleme mehr, und das Aufzuchtfutter für die Jungen holt man sich aus den beiden Kugeleschen vorm Fenster. Nahversorgung wurde ja schon vor hundert Jahren im Gemeindebau groß geschrieben.

Kohlmeise im GemeindebauWährend die alten Wohnhäuser der Gründerzeit noch geprägt waren von Bassena und Gangtoiletten, verfügte im sozialen Wohnbau des Roten Wien jede Wohnung über fließendes Wasser und Sanitäranlagen. Auch die Kohlmeisen achten auf Sauberkeit. Die Ausscheidungen der Brut werden vom Weibchen immer gleich ausgeflogen. Sie kommt kaum zur Ruhe, aber ihr Partner ist fast noch fleißiger. Unermüdlich schaffen die beiden frisches Futter herbei. Die Bedingungen scheinen für das Kohlmeisenpärchen  perfekt zu sein, aber natürlich hat das Leben „im Bau“ auch seine Schattenseiten.

KohlmeiseKaum tauchen die Krähen auf, wird lautstark protestiert. Dann sitzt das Männchen ganz oben in der Kugelesche und schlägt einen schärferen Ton an. Und manchmal gibt es wahrscheinlich auch Handgreiflichkeiten, denn wenn man genau hinschaut, fehlt dem Männchen im Nacken ein gutes Stück vom Federkleid. Der Umgangston im Gemeindebau war immer schon etwas ruppiger als anderswo.

In diesem Zusammenhang muss ich mich entschuldigen, dass die Fotos nicht von besserer Qualität sind, aber wenn man in der Wiener Vorstadt mit dem Teleobjektiv am Fenster steht und über die Gasse fotografiert, bleiben unten auf dem Gehsteig schnell die Passanten stehen und zeigen mit dem Finger hoch. Dann ist es angebracht, die Kamera schleunigst wieder wegzupacken, bevor die zwischenmenschlichen Interaktionen voranschreiten und den üblichen Verlauf nehmen.

Das Federkleid der Jungvögel hat übrigens ziemlich sicher einen deutlich wahrnehmbaren Geruch zwischen Fritterfett und gerösteten Ziebeln, denn der Raum dahinter ist eine Küche und das Lüftungsrohr mit großer Wahrscheinlichkeit der Ausgang einer Dunstabzugshaube. Aber auch das ist typisch für den Wiener Gemeindebau. In der Hauptstadt von Schnitzel und Gulasch kriegt man das mit dem „Kuchldunst“ am Gang seit hundert Jahren nicht in den Griff.

Bis die Jungen selbst ins heiratsfähige Alter kommen, wird sich das Problem allerdings längst wieder verzogen haben. Sobald sie flügge sind, steht ihnen ja die ganze Welt offen. Aber wer weiß, vielleicht kehren sie als erwachsene Vögel zurück, um selbst im Gemeindebau zu brüten. Sie wären sicher nicht die ersten, bei denen es diesen Verlauf nimmt.