Zwischenzeit

Honigbiene auf Krokus

Beim Blick in den Garten stellt sich jedes Jahr um diese Zeit die gleiche bange Frage: Hat der Winter schon mit dem Aufhören angefangen, oder ist gar der Frühling mit dem ersten Anfangen wieder fertig? Auf der einen Seite liegt noch Schnee, auf der anderen Seite scheint die Sonne bereits kräftig und an der Südseite des Flieders, wo die Erde langsam auftaut, steht eine einzelne Gruppe lila Krokus in voller Blüte.

Bin ich zu früh, wenn ich jetzt schon Tomaten vorziehe? Werden die Kürbisse nicht längst aus dem Topf herausgewachsen sein, wenn die letzte Frostgefahr gebannt ist und die richtige Zeit gekommen ist, sie ins Freie zu setzen?

Jedes Jahr hat ein anderes Timing. Manchmal ist im Februar schon Frühling, und im nächsten Jahr will der Winter ewig nicht loslassen. Die Honigbienen sollten damit eigentlich den meisten Stress haben, aber sie erledigen einfach nur ungerührt ihren Job. Kaum ist die Temperatur über dem kritischen Niveau, weiden sie in der Frühlingssonne die ersten Krokusblüten ab. Sitzen die Bienen vorher auch im Stock und diskutieren, ob es schon Zeit ist oder noch viel zu kalt?

Vermutlich nicht. Mittlerweile sind die ersten Kürbis- und Zucchinisamen am Fensterbrett aufgegangen, der Salat keimt, und mit der Arbeit vergeht die Lust, darüber nachzudenken, wann der richtige Zeitpunkt ist. Einfach tun und in die Gänge kommen. Verschiedene Tranchen gestaffelt setzen. Wenn es für die ersten Pflanzen zu früh ist, kann ich die zweite Garnitur nachsetzen. Wahrscheinlich machen es die Bienen genauso. Die Gruppe, die zu früh fliegt und dem Schlechtwetter zum Opfer fällt, sehen wir nicht. An den Frühblühern beobachten wir nur die Erfolgreichen, die den perfekten Moment erwischt haben. Für sie scheint die Sonne richtig, um sie schön ins Bild zu setzen.

Ahornsirup

Biene auf Ahorhzweig

Während sich anderswo der Frühling bemerkbar macht, hinkt in unserem Garten die Pflanzenwelt zwei bis drei Wochen hinterher – das liegt an den 500 Höhenmetern und den Bergen im Hintergrund. Die Krokusse und die Frühlingsknotenblumen strecken noch nicht einmal die Blätter aus der gefrorenen Erde. Warum sollten sie auch, liegt ja großteils noch Schnee im Garten, und das ist sicher noch nicht der letzte, der dieses Jahr fällt.

Biene auf AhorhzweigTrotzdem war gestern ein sonniger Sonntag mit Temperaturen deutlich jenseits der zehn Grad. Und da wird dann lebendig, was den Winter überlebt habt. Auf der Hausmauer sitzen die ersten Fliegen in der Sonne, eine Spinne huscht über den Boden und sogar Honigbienen summen durch den Garten.

Die werden hungrig wieder heimfliegen müssen, denke ich mir. Selbst die Weidenkätzchen sind noch nicht aufgeblüht. Und dann komme ich am Ahorn vorbei, der am Zaun hinter dem Teich steht. Vor vielen Jahren hat er sich dort selbst angesetzt. Ich habe ihn später in die Hecke integriert. Alle paar Jahre wird er zurückgestutzt. Das ergibt wunderbare Stützstecken für die Paradeiser.

Als ich letzte Woche wieder einmal den Ahorn geschnitten habe, tat er mir fast ein bisschen Leid. Der Baum steht schon voll im Saft, und von den Schnittstellen hat es heruntergetropft wie ein leichter Frühlingsregen.  Mittlerweile hat sich die Pflanze wieder beruhigt und nässt nur noch leicht, aber an den Stämmen sieht man kleine, lange Rinnsäle mit klebrigem Ahornsaft.

Bis zum Sonnenuntergang konnte ich hier Honigbienen und andere Insekten beobachten, die sich an dem süßen Zeug labten. Zuerst war ich überrascht, aber so ungewöhnlich ist der Vorgang gar nicht. Diese Zuckersäfte nennt man Honigtau. Normalerweise werden sie von Blatt- oder Schildläuse aus den Bäume gezapft. Der Flüssigkeitsdruck ist dabei so hoch, dass die Tierchen einen Großteil ihrer Nahrung wieder ausscheiden müssen, und diese Ausscheidungsflüssigkeit dient den Bienen als Grundlage für den Waldhonig. Offensichtlich nehmen sie die Baumsäfte auch direkt, wenn Bruch- oder Schnittstellen vorhanden sind.

Man kann in der Natur halt machen, was man will, es hat alles seine Konsequenzen, und ein Heckenschnitt wird schnell zur Wildtierfütterung. Ob das für die Bienen gut ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Gebrochene Äste im Frühjahr sind im Wald aber sicher keine Seltenheit, und so ist diese Form der Nahrungsquelle den Bienen wahrscheinlich schon immer vertraut. Dem Ahorn hilft es jedenfalls, wenn die Zuckerschicht verschwindet, bevor sich Rußtaupilze bilden.

Biene auf Ahorhzweig