Obwohl Simmering den Zentralfriedhof und die Wiener Zentralkläranlage beherbergt, liegt der Bezirk doch am Rande der Stadt. Bis in die 1970er-Jahre waren Teile Simmerings ländlich und durch den Gemüseanbau geprägt. Die Gärtnereien sind immer noch hier, aber ländlich ist nichts mehr. Heute ist das eine dystopische Aneinanderreihung von Glashäusern, in deren künstlich geschaffener Atmosphäre nichts dem Zufall überlassen wird. Die riesigen Tanks mit Kohlendioxid zur Düngung der Gurken wirken wie die absurde Kunstinstallation eines Wortspiels: Treibhausgas eben.

Man muss sich die Gegend schon von oben ansehen, um zu verstehen, wie dicht diese Konstruktionen aus Folien und Glas hier nebeneinander stehen.

So paradox es klingt: Diese krasse Form von Bodenversiegelung ist der Grund, warum es in diesem Gebiet eine bedeutende Population an Wechselkröten gibt. Jedes Frühjahr wandern die Tiere aus den Kleingärten links im Bild über die Straße zu den Glashäusern rechts, und wenn man genau schaut, sieht man auf der Luftaufnahme auch die dunklen Flächen, die die Amphibien magisch anziehen.
Wo alles abgedeckt ist, kann der Regen nicht versickern, und man braucht große Auffangbecken, um Überschwemmungen zu vermeiden. Deshalb gibt es zwischen den Gewächshäusern immer wieder Folienbecken, die das Wasser auffangen. Ein Teil der Flüssigkeit verdunstet, ein anderer wird zur Bewässerung verwendet, und da Fischbesatz den Nitratgehalt zu sehr erhöhen würde, sind diese schmucklosen Teiche ideale Laichgewässer für Wechselkröten.

Jetzt fragen sich manche wahrscheinlich, wie diese Population überleben kann, wo doch hier zwangsweise Autoverkehr herrscht, denn das Gemüse will ja auch irgendwie zum Verbraucher. Krötenzäune sind in der Stadt, wo Platz Mangelware ist, keine Option. Die Lösung ist eine kleine, gut organisierte Truppe, die den Amphibien über die Straße hilft. Da gibt es Freiwillige, die sich jeden Abend über das Wanderwetter austauschen: Kein Wind, möglichst Regen und über acht Grad sind ideal. Dann schwingen sich die Unerschrockenen aufs Rad und fahren ein zirka zehn Kilometer langes Wegenetz ab, um von der Straße zu schaffen, was an Kröten, Fröschen und Molchen gerade unterwegs ist. Hauptsächlich sind es allerdings Wechselkröten. Die kommen mit den Bedingungen am besten zurecht beziehungsweise haben sich an diese eigenartige Umgebung perfekt angepasst. Die städtische Wechselkröte ist etwas kleiner als ihre ländlichen Verwandten, und mir kommt vor, sie legt Wert auf gutes Aussehen.

Man kann nur hoffen, dass die Simmeringer Gärtner noch lange ein gutes Geschäft machen, damit dieser wunderschöne Camouflage-Schick erhalten bleibt. Wohnhausanlagen mit Teichen sind keine Alternative. Früher oder später landen in diesen Gewässern immer ausgesetzte Fische. Beim Zehngrafweg gegenüber vom Zentralfriedhof hat die Gemeinde Wien ein Laichgewässer für Wechselkröten angelegt. Im Abstand von mindestens fünf Metern führt dort ein torloser Schutzzaun herum. Ich vermute, bei dieser Distanz liegt der örtliche Rekord im Goldfisch-Weitwerfen.
Hui, das ist schon eine große Angelegenheit mit den Glashäusern. Ja, dann kann man wirklich nur hoffen, dass die fleißigen Helfer solange bleiben, wie es nötig ist.
Wie sie das wohl herausgefunden haben, dass es dort gutes Wasser zum Laichen gibt? Irgendwie ist das keine dauerhafte oder natürliche Geschichte für die hübschen Kröten. Und es klingt nicht sehr appetitlich, wie das Gemüse gedüngt wird.
Liebe Grüße,
Syntaxia
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Folienteich ist Folienteich, insofern sind viele Gartenteiche auch nicht natürlich, sie sehen nur natürlicher aus. Wechselkröten nehmen gern Laichgewässer, die nicht das ganze Jahr über Wasser haben, weil die Kaulquappen dort nicht so leicht gefressen werden. Insofern sind das oft Gewässer mit wenig Pflanzenbewuchs. Da ist der Schritt zu diesen blanken Regenauffangbecken nicht mehr weit.
Die Simmeringer Haide ist eigentlich das östliche Ende der Pannonischen Tiefebene und somit geeigneter Lebensraum für die Wechselkröte. Die war vor den Glashäusern da, aber ich vermute, sie war nicht so zahlreich. Wie viele Tiere hat sie in der Stadt weniger Fressfeinde. Ihr natürlicher Feind ist hier quasi das Auto. Die Helfer gibt es dort schon seit mindestens zehn Jahren, und sie meinen, der Bestand ist zumindest stabil. Eher zunehmend. Die Universität für Bodenkultur macht hier regelmäßig Wiederfangstudien, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommen (die fotografieren die Kröten und schauen, wie viele sie brauchen, um ein Exemplar ein zweites Mal zu erwischen, daraus schätzen sie die Populationsgröße).
Was das Gemüse betrifft, schaut das wenigste davon im Supermarkt so aus, wie es bei uns im Garten wächst. Damit die Tomaten so schön gleichmäßig rot an der Rispe in die Packung kommen, braucht es halt perfekte Bedingungen, und die gibt es nur im Glashaus. Im Garten wachsen die nie so, dabei ziehe ich meine Pflanzen auch aus den Samen der gekauften Tomaten. Es ist also oft die gleiche Sorte.
Liebe Grüße und lass es dir trotzdem gut schmecken,
Richard
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Mar Plastico in Simmeringen. Dann muss man ja gar nicht mehr nach Spanien reisen, um so was zusehen. Interessant, dass ausgerechnet Amphibien in der denaturierten Umgebung klar kommen.
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Ja, die Großstadt braucht Gemüse! Ich fürchte aber, in ganz Mitteleuropa hat eine Salatgurke, die man im Supermarkt kauft, noch nie den freien Himmel gesehen. Außer ganz kurz beim Verladen, wenn die Kisten vom LKW getragen werden.
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