Stechmücke frisst Kröte

Im Journalismus gibt es eine alte Faustregel: Hund beißt Mann ist keine Schlagzeile, Mann beißt Hund schon. In diesem Sinne ist der Titel dieses Beitrags zu verstehen. Dass Erdkröten sich mithilfe ihrer langen Schleuderzunge auch von Fluginsekten ernähren, ist wahrscheinlich bekannt. Wer hätte aber gedacht, dass die Nahrungskette in diesem Fall eine minimalistische Kreislaufwirtschaft ist? Kröten fressen Stechmücken. Stechmücken fressen Kröten.

Dabei ist die Sache naheliegend. Vor ein paar Jahren nahm ich auf einem Radausflug ein kühles Bad im Donau-Oder-Kanal. Das verschwitzte T-Shirt hing einstweilen zum Trocknen auf der Radstange. Bei meiner Rückkehr war das weiße Kleidungsstück plötzlich schwarz. Unzählige Gelsen erwarteten mich bereits sehnsüchtig. Warum sollte es den Erdkröten bei ihren Badeausflügen anders ergehen?

In den letzten Jahren habe ich hunderte Aufnahmen von sich paarenden Erdkröten gemacht. Mein Analytiker hätte dazu seine eigene Theorie, aber tatsächlich sind die meisten Amphibien nachtaktiv. Sie scheuen die Sonne, weil ihre Haut nicht austrocknen darf, und nur im Frühjahr machen sie den Tag zur Nacht. Dann hat man die einzige Chance auf gute Fotos bei Tageslicht, weil die Tiere mit fortschreitendem Paarungsgeschehen auch ihre Scheu verlieren. Regungslos lassen sie einen ganz nah an sich heran, und die Gelegenheit auf eine Großaufnahme ist unwiderstehlich.

Einem dieser Fotos verdanke ich die geschilderte Entdeckung. In der Ausschnittvergrößerung sieht man zwei Gelsen auf dem Kopf des Weibchens sitzen. Um welche Spezies es sich genau handelt, lässt sich nicht sagen, schließlich gibt es in Mitteleuropa über hundert verschiedene Stechmücken, aber ich gehe davon aus, dass beide Exemplare der gleichen Art angehören. Dadurch fällt deutlich auf, dass der Hinterleib des linken Tiers bereits rötlich verfärbt ist. Diese Gelse saugt sich gerade ihre Dosis Extranahrung aus dem Krötenweibchen.

Nach dieser Erkenntnis habe ich meine Fotosammlung durchgeackert. Genau vor einem Jahr habe ich unwissentlich das gleiche Geschehen schon einmal fotografiert. Damals wurde das Männchen Opfer des Blutsaugers. Stechmücken haben bei ihrem Rachefeldzug gegen die Erdkröten anscheinend keine Geschlechterpräferenz.

Erdkröten mit Stechmücke

Wir haben in unserer Gegend kaum Mückenplagen. Man kann auch an Sommerabenden ungeschützt draußen sitzen, ohne zerfressen zu werden. Im März wurde ich noch nie von einer Gelse gestochen, und ich dachte bislang, dass es zu diesem Zeitpunkt noch gar keine gibt, aber das ist natürlich ein Fehler. Nur die Männchen sterben im Herbst, die begatteten Weibchen überwintern an geschützten Stellen und werden mit zunehmenden Temperaturen wieder lebendig. Dass wir davon nichts mitbekommen, liegt einfach nur daran, dass die Stechmücken in dieser Zeit mit den Kröten beschäftigt sind. Die liefern frisches Blut direkt ans Gewässer und schmecken vielleicht auch besser!

Mehr zum Thema findet sich in meinem Buch Amphibienbademeister – Zweitberuf am naturnahen Gartenteich.

11 Kommentare zu „Stechmücke frisst Kröte

  1. Du wirst lachen. Der Beginn Deines Beitrages erinnert mich an etwas. Eine Bekannte wurde dauernd von einem Nachbarhund gezwickt. Bis sie sich den Hund mal schnappte und in den Nacken gebissen hat. Danach war Ruhe.
    LG Jürgen

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    1. Danke. Mir hat das Foto auch sehr gefallen. Man kann sich nämlich in die Kröte hinein versetzen. Die ist in dem Moment geistig woanders und weiß meiner Meinung nach nichts von der Gelse auf der Stirn, sonst würde sie ja zumindest kurz abtauchen. 😉

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  2. Gelsen…klingt ja frech XD Hier in Köln kennt man die Bezeichnung gar nicht, hab sie auch grad zum ersten Mal gelesen. Und natürlich: Tolle Fotos von einer interessanten Interaktion in freier Wildbahn. Hmmm…können Kröten Malaria kriegen? *lach* Vermutlich nicht.

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    1. Ich wusste bis lange ins Erwachsenenalter hinein nicht, dass die Dinger nicht überall im deutschen Sprachraum Gelsen heißen. Bei uns sagt niemand was anderes, und ich kann das Wort deshalb natürlich nicht lassen, aber damit alle wissen, worum es geht, streue ich hie und da Stechmücke ein. Wir unterscheiden uns halt durch die gemeinsame Sprache. 😉
      Mein erster Gedanke war übrigens: Kann ich mir von den Kröten was holen, wenn die Gelsen nachher mich stechen? Blutsauger übertragen ja so einiges. Um die Kröten habe ich mich weniger gesorgt, von denen haben wir im Moment eh reichlich. Aber mich gibt es halt nur einmal. 😉
      Grundsätzlich bin ich aber sehr zufrieden mit dem Teich. Der reduziert die Stechmücken, weil das eher eine Falle ist. Da sind so viele Fressfeinde drin, dass sich keine Mückenlarven durchsetzen.

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