Das Vollmondfest der Erdkröten

Männliche Erdkröte

Seit einem knappen Monat ist der Teich eisfrei, trotzdem fanden sich vor einer Woche noch kaum Amphibien im Wasser. Ein paar Springfrösche und Bergmolche, die wahrscheinlich unter dem Eis überwintert hatten, blickten erwartungsvoll nach oben, aber sonst war es ruhig. Von Erdkröten fehlte jede Spur.

Die Explosivlaicher, die sich in einem relativ kurzen Zeitfenster zur Massenpaarung an den Laichgewässern einfinden, brauchen als Auslöser für ihre Wanderung verschiedene Signale: Die Temperatur muss steigen, im Idealfall regnet es, und meiner Meinung gehört auch der Vollmond dazu. Irgendwie logisch, denn wer reist schon gern im Dunkeln.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat man den Mond noch direkt gesehen, seither regnet es immer wieder friedlich vor sich hin, und das ist ideales Erdkrötenwetter, denn auch der nächtliche Temperaturabfall hält sich durch die Wolkendecke in Grenzen.

Männliche Erdkröte

Hoch aufgerichtet sitzen die männlichen Exemplare auf den Gartenwegen wie dieses hier auf einer Waschbetonplatte. Da hat es die besten Chancen, ein neu eintreffendes Weibchen abzupassen, denn auch Tiere benützen gern die von uns angelegten Pfade. Leider gilt das nicht nur für die Wege in unserem Garten, wo ich mit einer Stirnlampe ausgerüstet bei jedem Schritt darauf achte, den Kröten auszuweichen, auch Straßen sind auf den ersten Blick eine praktische Einrichtung und erst auf den zweiten, finalen Blick eine tödliche Falle.

Männliche Erdkröte

Ob die im Dunkeln geschossenen Fotos was geworden sind, sieht man wie so oft erst am Bildschirm. Bei Langzeitbelichtung reicht die mickrige Stirnlampe, um die feine Zeichnung der schuppigen, mit Warzen überzogenen Haut stimmungsvoll zur Geltung zu bringen. Die Kamera lege ich dabei vorsichtig auf den Boden.

Männliche Erdkröte

Die Kröte sitzt die ganze Zeit über völlig starr. Nur der Goder bewegt sich, es wäre aber auch zu viel verlangt, wenn das Tier fürs Foto ergriffen die Luft anhalten würde. Die Aufmerksamkeit des Männchens liegt sowieso ganz woanders. Es wartet auf die eine Chance im Jahr, ein Weibchen zu fassen zu kriegen und seine Gene weiterzugeben.

Erdkröte Paarung

Die Klammerphase im Wasser dauert bei den Erstankömmlingen übrigens deutlich länger als bei später Eintreffenden, und so laichen alle möglichst gleichzeitig. Das erhöht die Überlebenschancen der Kaulquappen im Schwarm, damit sich in drei bis vier Jahren zumindest ein kleiner Teil der dieses Jahr gezeugten Nachkommen ebenfalls am uralten Vollmondfest der Erdkröten beteiligen kann.

Damenbesuch

Erdkröte

Seit über zwei Monaten sitzt der Kleine Wasserfrosch jetzt in unserem Teich und trainiert seine Stimme. Anfangs stieß er nur verhalten mehrere gleichklingende Töne aus. Mittlerweile beherrscht er unterschiedliche Tonhöhen und Lautstärken. Es klingt fast schon wie Gesang, nur schaurig halt.

Vergangene Woche hat er an einem sonnigen Nachmittag noch einen Gang zugelegt. Plötzlich wurde es laut, der Wasserfrosch spielte sein ganzes Repertoire aus und versuchte, mit seiner Sangeskunst zu verführen. Ein Erdkrötenweibchen schwamm durch den Teich, und er bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Dabei zeigte sich sein vornehmer Charakter. Ein Erdkrötenmännchen wäre sofort auf das Weibchen zugeschwommen und hätte versucht, sie zu packen. Nicht so der künstlerisch veranlagte Wasserfrosch. Er blieb zunächst auf Distanz und setzte auf die unwiderstehliche Wirkung seines Gesangs. Erst, als sie nicht reagierte, schwamm er zögerlich näher. Vermutlich hielt er die Dame für schwerhörig und wollte ihr aus nächster Nähe ins Ohr singen.

Erdkröte und Wasserfrosch

Man muss aber nicht nur taub, sondern auch rot-grün-blind sein, um den Artunterschied nicht zu bemerken. Das Erdkrötenweibchen war nur an einer kurzen Abkühlung interessiert. Sie stieß den balzenden Frosch brüsk weg und tauchte ab.

Die Krötensitzung

Erdkröte Männchen

Man kann jetzt wieder abends durch unseren Garten gehen, ohne mit der Stirnlampe vor jedem Schritt das Terrain erkunden zu müssen. Während der Laichzeit sind die Männchen der Erdkröten auf den Wegen herumgesessen und haben auf die Weibchen gewartet.

Erdkröte Männchen

Man unterschätzt oft, wie schnell menschengemachte Strukturen auch von Tieren angenommen werden. Wege und Straßen sind nicht nur für uns praktisch, und das ist mit ein Grund, warum jedes Jahr so viele Erdkröten dem Autoverkehr zum Opfer fallen. Die Männchen haben auf der freien Fläche einen guten Überblick, und wärmer ist es auf einer asphaltierten Straße wahrscheinlich auch.

Bei uns im Garten stört nur die eine oder andere Streunerkatze. Etwas lästig ist auch der Typ, der sich hie und da mit der Kamera auf den Boden legt, um zu fotografieren. Aber wenn man still sitzen bleibt, verschwindet er wieder. Subjektiv denkt sich das Krötenmännchen auf dem Foto wahrscheinlich gerade, dass es Pech hat, weil es von mir gestört wird. Objektiv betrachtet sind die Wege in unserem Garten aber eine sehr gute Wahl für die jährliche Krötensitzung, und wenn man die jetzt zahlreich im Teich verteilten Laichschnüre berücksichtigt, dann hatten manche der wartenden Männchen sogar wirklich Glück.

Mehr zum Thema findet sich in meinem Buch Amphibienbademeister – Zweitberuf am naturnahen Gartenteich.

Saisonauftakt

Erdkrötenpaarung

Die Eröffnung der Amphibienbadeanstaltssaison ist fast so kompliziert wie das Wort lang ist. Normalerweise entgeht mir der Auftakt. Ich sehe immer nur einen ersten Laichballen der Grasfrösche. Die Tiere selbst bleiben unentdeckt.

Nicht so dieses Jahr. Vor einer Woche war der Teich noch zugefroren, doch dann ging alles schnell. Eine kräftige Westströmung brachte deutlich wärmeres Wetter und gleichzeitig leichten Regen. Das sind ideale Bedingungen für unsere Frühlaicher, und sie haben mich nicht enttäuscht.

So sehen sie also aus, die ersten abendlichen Badegäste und ihr Laich, der am nächsten Morgen im Teich schwimmt. Am selben Tag habe ich auch die ersten Erdkröten entdeckt. Man liest in der Fachliteratur viel über den gestaffelten Beginn der Laichsaison: Die Braunfrosche kommen zuerst, zwei bis drei Wochen später die Erdkröten.

Tatsächlich kommen bei uns Springfrösche, Grasfrösche und Erdkröten gleichzeitig. Bei den Erdkröten dauert die Paarung nur etwas länger. Während die Frösche alles in einer Nacht erledigen, klammern die Kröten bis zu einer Woche.

Das Erdkrötenpärchen auf dem letzten Foto wirkt noch nicht ganz munter. Wenn man bedenkt, dass sie gerade erst aufgestanden sind und davor fünf Monate geschlafen haben, kann man aber verstehen, dass sie noch nicht mit voller Leidenschaft bei der Sache sind. Dafür steht ihnen jetzt ein langer Sommer bevor, um frische Kraft zu tanken. Der Winter ist vorbei, und was aussieht wie ein Anflug von Schnee, sind nur noch die Samen des letzten Rohrkolbens.

Einer für alle

Bei Schwärmen denkt man zunächst an Fische oder Stare, aber die Kaulquappen der Erdkröten können das genauso beeindruckend und bilden im Teich dichte Knäuel, um sich dadurch vor Fressfeinden zu schützen. Bei den Erdkröten hat sich die Evolution aber noch einen zweiten Trick einfallen lassen: Sie haben in der oberen Hautschicht einen eingelagerten Botenstoff, der bei Verletzung frei gesetzt wird und bei den Artgenossen eine Fluchtreaktion auslöst. Wird also eine Kaulquappe zum Beispiel von einer Libellenlarve erbeutet und gefressen, warnt sie als letzte Aktion noch einmal ihre Kollegen.*)

Hilft aber nichts. Von über 100.000 Kaulquappen schließen maximal ein paar hundert die Metamorphose ab. Auf schwache Jahre folgen meist stärkere. Letztes Jahr waren Mitte Mai alle Kaulquappen schon weg, und die Libellenlarven blieben hungrig zurück. Deshalb stehen dieses Jahr die Chancen etwas besser, dass es doch ein paar an Land schaffen.

Mehr zum Thema findet sich in meinem Buch Amphibienbademeister – Zweitberuf am naturnahen Gartenteich.


*) Silke Schweiger, Georg Gassner, Jürgen Rienesl, Günther Wöss: Wien: Amphibien & Reptilien in der Großstadt. Die spannende Vielfalt der urbanen Herpetologie, Wien 2021, S. 146