Mozarts Hamster

Feldhamster

Die Südosttangente ist die meistbefahrene Straße Österreichs und verbindet, wie der Name schon sagt, die Süd Autobahn quer durch Wien mit der Ost Autobahn. Die wenigsten der durchschnittlich 180.000 Fahrzeuglenker, die hier jeden Tag durch die Stadt rasen, wissen, dass sie an der Stelle, wo sie den dritten Bezirk streifen und damit dem Stadtzentrum am nächsten kommen, fast über Mozarts Grabstätte fahren.

Der Sankt Marxer Friedhof wird an drei Seiten von den Brücken der Stadtautobahn und einer ihrer Abfahrten umrahmt, und man kann sich leicht vorstellen, dass diese Grabanlage der Grund für die leichte Biegung ist, die die Tangente hier macht. Man hat quasi höflichkeitshalber eine Mozart-Schikane eingebaut, um nicht direkt über die sterblichen Überreste des Komponisten donnern zu müssen.

Sankt Marxer Friedhof
Quelle OpenStreetMap

Wo genau der vielleicht berühmteste Österreicher beerdigt wurde, weiß man nicht. Er kam 1791 in ein nicht näher gekennzeichnetes Gemeinschaftsgrab. Nur wer es sich leisten konnte, ließ damals prunkvolle Einzelgräber anlegen. Für Mozart wurde so eine Gedenkstätte erst nachträglich errichtet und zum 100. Todestag auf den Zentralfriedhof übersiedelt. Ein Friedhofswärter errichtete aus Resten später ein neues Denkmal an der Stelle, wo man das eigentliche Grab vermutete. So hat Mozart heute zwei Grabstätten: Die große, leere auf dem Zentralfriedhof und die kleine mit dem wiederverwerteten Engel, wo er irgendwo in der Nähe wahrscheinlich wirklich liegt.

Es wäre aber nicht Wien, wenn das jetzt schon Kuriosum genug wäre. Offiziell ist der Sankt Marxer Friedhof heute nämlich ein Park, als Friedhof ist er längst aufgelassen. Mozart liegt quasi in einem Naherholungsgebiet und Naturjuwel im Schatten der Tangente. Es ist eine der am besten gesicherten Grünanlagen der Stadt: Der wunderschöne Biedermeier-Friedhof steht nicht nur unter Denkmalschutz, er wird auch noch von der Autobahn bewacht.

Das taugt den Hamstern. Hamster lieben Friedhöfe – zumindest in Wien. Die Population auf dem Sankt Marxer Friedhof ist nicht so umfangreich wie die auf dem Meidlinger Friedhof, aber die Tiere wirken gut genährt und fühlen sich bei der mäßigen Besucherzahl wohl. Niemand geht in einen Park, der aussieht wie ein Friedhof, und die Verwandtschaft der hier Beerdigten liegt längst woanders. Wenn man bei schlechtem Wetter allein ist, kann es sogar passieren, dass der Hamster seine Scheu verliert und den Rucksack inspizieren möchte. Leider habe ich das Foto vor Schreck völlig vermasselt.

Bleibt die Frage, was Wiener Friedhöfe für Hamster so anziehend macht. Sicher spielt die Landschaftsgestaltung eine gewisse Rolle. Es gibt keinen dichten Baumbestand und viele Freiflächen mit einer bunten Mischung aus Wiesenkräutern. Es wird gemäht, aber nicht zu oft, und der Boden lässt sich leicht aufgraben. Die moderate Benutzerfrequenz wird auch wichtig sein. Es kommen genug, um die Fressfeinde abzuschrecken, und auch wieder nicht so viele, dass es die Hamster bei der Nahrungssuche stört.

Der Hauptgrund wird aber die ambivalente Beziehung der Wiener zu ihren Friedhöfen sein. Bis 1783 wurden die Toten der Innenstadt unter dem Stephansdom beerdigt. Danach legte man die Beerdigungsstätten immer weiter in die Peripherie. Ab 1874 versuchte man schließlich, die Gräber auf dem neuen Zentralfriedhof zusammenzufassen und die innerstädtischen Friedhöfe aufzulassen. Das scheiterte aber am Widerstand der Bevölkerung, und so hat Wien eine Reihe kleiner Friedhöfe, die kaum noch in Verwendung sind und die trotzdem als gleichsam von den Toten geschützter Grünraum erhalten bleiben. In Sankt Marx ist ein bisschen auch der berühmte Wolferl dafür verantwortlich, dass der Friedhof nicht gänzlich verschwindet, und so sind die Feldhamster, die hier wohnen, ein wenig auch Mozarts Hamster.


Kurzer, werbetechnischer Nachsatz für alle Wien:innen: Aktuell gibt es eine Petition für die Neufassung der Wiener Rattenverordnung:

https://petitionen.wien.gv.at/petition/online/PetitionDetail.aspx?PetID=6962ac1852c84869b136c6345dc53c89

Diese Petition richtet sich unter anderem gegen Rattenköderboxen im Freien, durch die nachweislich immer wieder auch Hamster vergiftet werden. Dieses Ausbringen von Giftköder in Wiener Parks habe ich hier im Blog schon vor Jahren kritisiert. Für die Unterschrift braucht man Handy-Signatur und Wohnsitz in Wien.

Die Eidechsen vom Wertheimsteinpark

Mauereidechse

Der Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff wurde einmal auf der Straße mit folgenden Worten angesprochen: Sie sind viel kleiner als in Wirklichkeit. Für Mauereidechsen gilt das genauso. Sie sind unauffällig und nicht das, was einem sofort ins Auge springt. Hat man sich im Wiener Wertheimsteinpark aber erst einmal daran gewöhnt, auf vermeintliche Aststücke zu achten, die sich plötzlich bewegen, dann sieht man sie überall.

Den Grund, warum sie in Wirklichkeit ganz anders wirken als auf Fotos, erkennt man erst zu Hause am Bildschirm. Vor Ort war mir nicht bewusst, wie konzentriert sie in die Kamera blicken. Im Park hatte ich geglaubt, sie zu beobachten, dabei war es umgekehrt.

Die Aufmerksamkeit ist lebensnotwendig. Mir sind im Park auch zwei Katzen vor die Füße gelaufen. Gut genährte Freigänger sind in Wien eher eine Seltenheit, und wenn man sieht, dass nicht mehr alle Eidechsen ihren Schwanz haben, dann weiß man, hinter wem die Katzen her sind.

Es gibt in Wien nur eine autochthone Population von Mauereidechsen in einem Steinbruch an der Stadtgrenze. Genetische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Eidechsen im Wertheimsteinpark allochthon sind, das heißt, sie stammen ursprünglich aus Südeuropa und wurden vor vielen Generationen hier ausgesetzt. Autochthon bin ich aber wahrscheinlich auch nicht.

Die Krötensitzung

Erdkröte Männchen

Man kann jetzt wieder abends durch unseren Garten gehen, ohne mit der Stirnlampe vor jedem Schritt das Terrain erkunden zu müssen. Während der Laichzeit sind die Männchen der Erdkröten auf den Wegen herumgesessen und haben auf die Weibchen gewartet.

Erdkröte Männchen

Man unterschätzt oft, wie schnell menschengemachte Strukturen auch von Tieren angenommen werden. Wege und Straßen sind nicht nur für uns praktisch, und das ist mit ein Grund, warum jedes Jahr so viele Erdkröten dem Autoverkehr zum Opfer fallen. Die Männchen haben auf der freien Fläche einen guten Überblick, und wärmer ist es auf einer asphaltierten Straße wahrscheinlich auch.

Bei uns im Garten stört nur die eine oder andere Streunerkatze. Etwas lästig ist auch der Typ, der sich hie und da mit der Kamera auf den Boden legt, um zu fotografieren. Aber wenn man still sitzen bleibt, verschwindet er wieder. Subjektiv denkt sich das Krötenmännchen auf dem Foto wahrscheinlich gerade, dass es Pech hat, weil es von mir gestört wird. Objektiv betrachtet sind die Wege in unserem Garten aber eine sehr gute Wahl für die jährliche Krötensitzung, und wenn man die jetzt zahlreich im Teich verteilten Laichschnüre berücksichtigt, dann hatten manche der wartenden Männchen sogar wirklich Glück.

Blindschleichen lieben Gummimatten

Blindschleiche

Teichfolie wird rechteckig geliefert. Das ist selten die Form, die man für seinen Gartenteich geplant hat, also sind mir beim Anlegen des Teichs kleine Stücke Kautschukmatte übriggeblieben, die ich seit Jahren für die verschiedensten Zwecke verwende. Man kann zum Beispiel hartnäckiges Unkraut im Gemüsebeet damit abdecken. Dann sieht man es für einige Zeit nicht, denn die Folie ist blickdicht.

Schön sind diese Folienreste nicht, die bei uns in der Ecke im Garten rumliegen, aber darunter ist es warm, und das zieht vor allem im Frühjahr die Blindschleichen an. Wir haben seit längerem eine kleine, aber feine und stabile Population dieser Tiere in unserem Garten. Jedes Jahr gibt es mehrere Sichtungen – nur nicht von mir.

Es kann zum Beispiel passieren, dass unsere Nachbarin auf Besuch kommt und anmerkt, dass sie gerade am Gartentor eine Blindschleiche verschwinden gesehen hat – mit der Betonung auf „verschwinden“. Mrs. Columbo ist sowieso ein ganz großer Fan der beinlosen Eidechsen. Sie braucht nur einen Stein umzudrehen oder im Frühling den Reisigschutz von den Rosen wegzuräumen, schon begegnet ihr eine Blindschleiche, die dann selbstredend rechtzeitig verschwindet, bevor ich mit der Kamera anrücke.

Blindschleiche

Gestern war es aber auch bei mir so weit: Beim Auftragen von Kompost fürs Gemüse wollte ich eine Gummimatte umlegen, und da war sie, die erste Blindschleiche, die ich fotografieren durfte. Selbstverständlich habe ich sie anschließend wieder warm zugedeckt. Der Kürbis muss dieses Jahr woanders hin.

Blindschleiche

Es lohnt sich jedenfalls, in einer sonnigen, unauffälligen Ecke des Gartens ein paar schwarze Folienstücke aufzulegen. Blindschleichen nehmen diese Verstecke gern an. Ich weiß, dass nicht jeder ein Fan der Beinlosen ist, aber sie zeigen sich sowieso nur selten. Wie Heinzelmännchen agieren sie im Verborgenen und vernichten die eine oder andere Schnecke.

Köcherfliegenlarven in Teich und Garten

Köcherfliegenlarve

Dass man bei folgenden Fotos auf den ersten Blick den Eindruck hat, es gäbe eigentlich kein Tier zu sehen, ist Absicht, wenn auch nicht meine.

Bei dem Insekt, das sich hier vor seiner Umwelt verbirgt und dementsprechend schwer zu fotografieren ist, handelt es sich um eine Köcherfliegenlarve, wahrscheinlich ein Exemplar von Limnephilus rhombicus, aber das Bestimmen von Köcherfliegen ist eher Kaffeesudleserei. In Mitteleuropa gibt es 400 verschiedene Arten, von denen Bellmanns Kosmos-Insektenführer 23 Vertreter verzeichnet, die alle auf Deutsch bloß Köcherfliege heißen.

Die fertigen Insekten leben nur kurz, und von den Larven sieht man fast nichts, weil sie ihren Körper in einer kunstvollen Hülle verbergen. Jede Art verwendet andere Materialien – Blätter, Stängel, Steinchen oder auch Schneckenschalen – und der Bauplan wird an das vorhandene Materialangebot angepasst, so dass das Ergebnis bei derselben Art unterschiedlich aussehen kann.

Um Algen, Moose und andere Pflanzenteile abweiden zu können, müssen sich die Tiere natürlich bewegen, und so kann man sie dann doch entdecken. Vor zwei Jahren fielen mir im Teich zahlreiche Exemplare der Großen Teichköcherfliege Phryganea grandis auf, die ich damals hier im Blog gezeigt habe:

Es gibt auch Arten, die eine flauschigere Form bevorzugen. Man erkennt sie im trüben Teichwasser wirklich nur, weil sie alle die gleichen ruckartigen Bewegungen vollführen, wenn sie ihren Köcher auf der Suche nach Nahrung vorwärtsziehen.

Am meisten staunte ich aber über folgendes Tierchen, das ich letztes Jahr im Mai auf einem bemoosten Stein entdeckte und bei dem es sich vielleicht um eine Enoicycla handelt. Reflexartig wollte ich das Tier in den Teich tragen, aber es gibt auch Arten, die ihre Larvenzeit an Land verbringen. Sie unterscheiden sich von den Wasserbewohnern dadurch, dass man sie noch viel leichter übersieht.

Der Köcher wird durch Spinnfäden zusammengehalten und besteht beim letzten Exemplar aus Blattresten, Steinchen und den längsgerichteten Stöckchen, die auf dem Rücken montiert sind. Diese Stängel können bei einzelnen Arten länger sein als das ganze Tier und machen ein Verschlucken der gesamten Konstruktion fast unmöglich. Eine wirklich erstaunliche Bastelleistung.