Dachbegrünung ohne Substrat

Vor ein paar Monaten habe ich eine Dokumentation über Dachbegrünung in Berlin gesehen. Bei Neubauten ist dort ein entsprechender Prozentsatz mittlerweile verpflichtend, und da werden dann Tonnen an Substrat mit dem Kran aufgebracht, nur um Mauerpfeffer anzupflanzen. Der wächst bei uns auch ohne Unterlage.

Dass unser Dach teilweise begrünt ist, war nicht geplant. Es ist der Faulheit geschuldet. Ich hatte keine Lust, das Moos zu entfernen, und irgendwann dachte ich mir, da geht vielleicht noch mehr. Einen Bepflanzungsplan verfolge ich nicht. Sukkulenten nehme ich nur dann im Gartencenter mit, wenn die hoffnungslos ertränkten Restposten um einen Euro zu haben sind.

Am Boden blüht die Hauswurz bei uns nie. Das Dach ist ihr das liebste Habitat. Im Sommer ist es dort unerträglich heiß und trocken, im Winter kalt und lange schneebedeckt. Manchmal fällt eine Gruppe Hauswurzen herunter, dann helfe ich den Pflanzen wieder hoch. Irgendwann halten sie sich doch mit ihren Wurzeln an den Dachziegeln fest, aber Erde scheint eher zu stören.

Das Dach ist an den betroffenen Stellen nicht besonders steil, und ganz ohne Nährstoffe scheint es auch nicht zu gehen, denn die ersten Moospolster zeigen sich bevorzugt dort, wo die Zwetschkenbäume im Herbst etwas Laub darüberstreuen.

Die bepflanzten Dachstellen schauen in jeder Jahreszeit anders aus. Im Sommer ist das Moos völlig vertrocknet, dafür blüht die Hauswurz, und wenn sich die anderen Gartenpflanzen im Herbst zu ihre Ruhezeit zurückziehen, quellen die Moospolster auf, dass man ihnen beim Wachsen zuschauen kann. Jetzt, Anfang November, sieht das Dach so aus:

Was im Sommer wie tot schien, schlief nur und erwacht in der feuchten Nebelluft zu neuem Leben. Sobald der Frühling dann den Schnee schmilzt, hat das Moos so viel Energie getankt, dass sich an manchen Stellen kleine zarte Blüten zeigen.

Diese Pflanze, die stammesgeschichtlich älter ist als die meisten anderen ihrer Gartenkollegen, verfolgt jahreszeitlich gesehen einen gegenläufigen Wachstumsplan. Ich vermute, sie stellt die Jahresschwankungen der Keeling-Kurve auf den Kopf.

Mauna Loa CO2 monthly mean concentration DE

Quelle: Wikimedia Commons

Seit den 1950er-Jahren wird auf Hawaii die CO2-Konzentration in der Atmosphäre gemessen. Dabei zeigt sich nicht nur die allseits bekannte Zunahme durch fossile Brennstoffe, sondern auch eine Jahresschwankung. Von Anfang Mai, wenn die Wachstumsphase der Vegetation so richtig Fahrt aufnimmt, bis Mitte September sinkt der CO2-Gehalt. Am stärksten steigt er hingegen im Herbst (kleine Grafik links oben, der Dezember fehlt und die Linien passen durch die jährliche Zunahme nicht zusammen). Das ist genau der Zeitraum, in dem unser bemoostes Dach zu grünen beginnt. Ich finde das sehr sympathisch, wie Moos seit Uhrzeiten leise und unscheinbar gegen den Lauf der Jahreszeiten protestiert.

7 Kommentare zu „Dachbegrünung ohne Substrat

  1. Jede Form von Grün trägt zur Reduzierung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre bei. Die Vegetation auf unseren Dächern könnte einen enormen Einfluss darauf haben. Also… entweder Dachbegrünung oder Sonnenkollektoren 🙂

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    1. Das sehe ich auch so. Da Moos nicht so viel Licht braucht, geht vielleicht sogar beides. Ich habe aber (noch) keine PV-Anlage und weiß nicht, ob es darunter heißer wird als normalerweise im Sommer auf dem Dach.

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    1. Danke! Es hat halt was Beruhigendes, wenn manche Pflanzen es fertig bringen, auch im Winter zu grünen. Der Tannenbaum ist halt einen Ticken auffälliger, sonst hätten wir zu Weihnachten Moos im Wohnzimmer. 😉
      Die Dachbegrünung hat aber diesen Sommer sicher auch davon profitiert, dass es mehr geregnet hat als sonst. Etwas Wasser schadet auch den Genügsamen nicht.

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