Eine Sichtung

Frei nach René Magritte: Das ist keine Kröte. Es ist nicht einmal die Abbildung einer solchen.

Gelbbauchunke

Das ist eine Gelbbauchunke. Für mich ist es außerdem die Bestätigung, dass mein Wirklichkeitssinn noch nicht gänzlich den Bezug zur Realität verloren hat.

Keine zwei Kilometer von unserem Haus entfernt liegt ein Tümpel. Außer Fadenalgen beherbergt er keine Wasserpflanzen. Vor zwei Jahren bin ich hier am Abend mit dem Fahrrad vorbeigekommen und habe einen Ton gehört, den ich bislang nur von Aufnahmen kannte: Das langgezogene Uh-Uh-Uh der Unken. Während andere Amphibien schnarrende Geräusche hervorbringen, ist der Unkenruf wirklich ein Ton. Schön, geheimnisvoll, durchdringend.

Seither komme ich hier regelmäßig her. Gehört habe ich die Unken schon oft, gesehen habe ich sie nie. Letztes Jahr hatte ich nicht einmal die Chance dazu, denn der Grundwasserspiegel war so niedrig, dass der Tümpel austrocknete. Auch das ist typisch für die Laichgewässer der Unken. Ihre Kaulquappen wachsen schneller als die anderer Froschlurche, und so kommen sie auch mit Gewässern zurecht, die nicht durchgehend Wasser führen.

Für Unken braucht man Geduld. Man blickt über die Wasseroberfläche, hört mehrstimmige Rufe – und sieht nichts. Im Gegensatz zu allen anderen Froschlurchen erzeugen die Tiere den Ton beim Einatmen. Sie bewegen sich dabei kaum. Nur die Kehle dehnt sich leicht. Man hat freie Sicht, weiß, dass man eigentlich etwas sehen müsste, und beginnt langsam an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln.

Irgendwann kommt ein Paar vorbei, bleibt stehen, schaut, wartet. Sehen Sie etwas? – Nein, ich sehe auch nichts. Sie wünschen mir Glück, gehen weiter.

Aber ich habe Geduld und bleibe. Wasser ist ein empfindliches Medium. Das Einsaugen der Luft erzeugt eine kleine Welle, an deren Entstehungsort die Unke sein muss. Und plötzlich ist die Welt wieder in Ordnung. Man kann an seinem Gehör zweifeln, dem Sehsinn traut man schon mehr, und ein Foto hält die Sichtung fest: Das ist eine Unke. Eigentlich weiß ich seit zwei Jahren, dass es hier welche gibt, aber seit letzter Woche glaube ich es mir auch.

8 Kommentare zu „Eine Sichtung

  1. Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass es so schwierig ist, sie zu finden.Wenn ich früher mit meinen Eltern in Urlaub war, ich weiß nicht mehr ob in Bayern oder Österreich, lagen die schlammfarben in schlammfarbenen Pfützen um uns dann plötzlich ihre gelben Bäuche zu zeigen. Das war dann ein gelb/schlammfarbenes Gewimmel Und ich habe mich immer gefragt, warum die es ausgerechnet in vergänglichen Radspuren treiben.

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    1. Also, ich musst gestern wieder eine halbe Stunde lauschen, bis ich orten konnte, wo sie sitzen. Und dann waren sie zu weit weg für gute Fotos. Hängt aber sicher auch davon ab, wie zahlreich sie sind.
      Das mit den Radspuren liest man immer wieder. Im Wienerwald bevorzugen sie die Schlammlöcher der Wildschweine. Sie brauchen halt nicht so lange wie andere Kaulquappen, und wo ein Tümpel durchgängig Wasser führt, gibt es viele Fressfeinde.

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