Schildkröten im Floridsdorfer Wasserpark

Der Floridsdorfer Wasserpark ist eigentlich der obere Teil der Alten Donau, also ein Restbestand des ursprünglichen Flussverlaufs, bevor die Donau begradigt wurde. Es gibt hier noch Bestände der Europäischen Sumpfschildkröte, der einzigen in Mitteleuropa heimischen Schildkrötenart. Die Tiere sind allerdings schwer zu finden unter all den Nordamerikanischen Schmuckschildkröten, die hier ausgesetzt wurden und sich im Sommer mit den Graureihern die Sonnenplätze teilen.

All diese Tiere, meist Gelbbauch-Schmuckschildkröten, waren irgendwann mehr oder weniger geliebte Haustiere, bis sie fürs Terrarium und die Stadtwohnung zu klein wurden. Anschließend wanderten sie ins Freie, und dort werden sie sich mit zunehmendem Klimawandel noch lange halten, denn die Tiere haben eine hohe Lebenserwartung und die Winter werden milder.

Das ist schade, denn der Naturlebensraum in der Stadt ist begrenzt, und gute Sonnenplätze sind rar. Wer als Letzter kommt und sich nicht durchsetzen kann, muss manchmal stundenlang auf einem Stein balancieren.

Hier beginnt das Suchspiel des heutigen Beitrags. Auf diesen Bildern sieht man immer mindestens ein Stück einer Europäischen Sumpfschildkröte. Ich habe mir vor ein paar Tagen die Mühe gemacht und alle Schildkröten, die ich im Park finden konnte, mit dem Teleobjektiv abfotografiert. Sicher bestimmen konnte ich sie dann erst zu Hause am Bildschirm. Auf dem ersten Bild ist es der Panzer links oben, auf dem zweiten das Exemplar links und in der Reihe unten sind es die Tiere zwei und vier von links. Auf dem nächsten Bild ist die Sache ganz eindeutig, hier sieht man wahrscheinlich ein Männchen.

Europäische Sumpfschildkröte

Die Europäische Sumpfschildkröte ist eine relativ langschwänzige Art. Die Kloake liegt hinter dem Panzerrand, und an dieser Stelle ist der Schwanz bei den Männchen verdickt. Dass uns dieses hübsche Exemplar die Kehrseite zeigt, ist also kein Nachteil, wenn es um die Bestimmung geht.

Intakte Populationen gibt es heute in Mitteleuropa kaum noch. Die Donau-Au weiter flussabwärts ist eines der letzten Rückzugsgebiete. Früher waren die Tiere in Österreich weit verbreitet, was wir wahrscheinlich dem Katholizismus zu verdanken haben. Vor allem in den Klostergärten gab es immer wieder beträchtliche Vorkommen. Schildkröten sind deutlich leichter zu züchten als Biber, und sie zählten wie diese laut päpstlichem Erlass zu den erlaubten Fastenspeisen.1

Heute könnte man diese Tradition wieder aufnehmen und im Sinne des Artenschutzes die eingeschleppten Terrarientiere verzehren, aber das wird sich nicht durchsetzen. Unseren Speiseplan bestimmen Tradition und Religion, aber selten die Vernunft. Sinnvoller ist eine Ausweitung des Importverbots, das es für die Rotwangen-Schmuckschildkröte bereits gibt. Dann werden im Floridsdorfer Wasserpark vielleicht ein paar zusätzliche Sonnenplätze frei, und die Europäische Sumpfschildkröte hat eine Chance, ihre noch vorhandene Population weiter zu etablieren.


  1. Vor allem vom 17. bis zum 19. Jahrhundert wurden sie in Wien verspeist:
    https://www.derstandard.at/story/2000133077330/schildkroeten-das-superfood-der-fruehen-neuzeit ↩︎

26 Kommentare zu „Schildkröten im Floridsdorfer Wasserpark

  1. Mit dem Verzehren der Schildkröten wird es sich so ähnlich verhalten wie mit den Wollhandkrabben in der Elbe: falls es jemand professionell anbietet, kommt er damit zum Bestaunen in die Medien, aber die praktische Publikumsnachfrage bleibt aus.

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    1. Ja, der Versuch, unseren Speiseplan umzugestalten, ist selten nachhaltig. In jeder Gesellschaft werden nur ganz wenige Tierarten gegessen, und das hält sich über viele Generationen hinweg.
      Bei den Schildkröten scheint es wirklich auf die strengen Fastenvorschriften zurückzuführen zu sein, dass sie auf dem Speiseplan landeten. Weder davor noch danach finden sich Knochen.

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      1. An die Schildkröteneier habe ich nicht gedacht. Wenn sie die verzehrt haben, dann gab es natürlich keine Reste, aber die legen ja nur einmal im Jahr Eier ab, denke ich.
        Bei Klöstern wie der Kartause Mauerbach wurden bei Grabungen immer wieder Schildkrötenpanzer gefunden. Es gab bis ins 19. Jahrhundert in Wien 148 Fasttage im Jahr, da musste man erfinderisch sein. In Silke Sckweiger u.a.: „Wien. Amphibien & Reptilien in der Großstadt“ ist auch eine Tabelle der statistischen Jahrbücher, wie viele Schildkröten jedes Jahr auf dem Fischmarkt (!) verkauft wurden. Die Zahlen von 1877 bis 1902 schwanken von 20 bis 1790 Stück. Da bleiben die Panzer über und die findet man dann mit Werkzeugspuren vom Öffnen. Kochbucheinträge gibt es natürlich auch. Die sind aber relativ brutal, weil man die Schildkröte nicht so leicht aus dem Panzer bekommt. Es ist ein mühsames Essen, das man sich ohne die Fastenvorschriften wahrscheinlich nicht angetan hätte.

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      2. Davon habe ich auch gelesen. Aber, so wie du schreibst, war das vermutlich nicht allgemein beliebt, vor allem bei Haushalten, in denen Frauen das Einkaufen / Sammeln und Zubereiten erledigten, kann ich es mir nicht vorstellen, dass sie die Schlepperei gerne auf sich genommen haben für ein so wenig ergiebiges Nahrungsmittel. Da werden Schnecken vorteilhafter gewesen sein .

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      3. Sicher. Schildkröten halten sich. Mit Achatschnecken machen sie das ja heute auch noch. Die eingedeckelten Exemplare werden hinten durchbohrt und an einer Schnur aufgefädelt am Markt verkauft. Das hält sich und braucht keinen Kühlschrank.
        Einen Karpfen kann man für den Transport in feuchte Tücher wickeln und dann zu Hause in eine Wanne tun. Die Leute wussten sich sicher zu helfen, ohne viel Technik und ohne Vakuumverpackung.

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      4. Meine Mutter erzählte mir einmal, wie in ihrer eigenen Kindheit ihrer Mutter auf dem Markt zehn lebende Aale aus der Tasche entkommen sind, und wie sie versuchten, denen nachzukommen.

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      5. Im alten Testament sind Krabbelzeugs und Meeresfrüchte neben Säugetieren mit gespaltenen Klauen noch verboten. Wahrscheinlich, weil sie schnell verderben, oder um sich von anderen Völkern abzugrenzen.
        „Alle Tiere, die gespaltene Klauen haben, Paarzeher sind und wiederkäuen, dürft ihr essen“ (Lev 11,3). Rinder, Schafe, Ziegen, Rehe, Gazellen oder auch Steinböcke sind also akzeptiert, Schweine, Hasen oder Kamele hingegen verboten.

        „Alle Tiere mit Flossen und Schuppen, die im Wasser, in Meeren und Flüssen leben, dürft ihr essen“ (Lev 11,9). Die meisten Fische sind somit erlaubt, Aale und Rochen sowie Krusten- und Schalentiere, etwa Langusten, hingegen verpönt.

        Gefiederte Wesen, Vögel aller Art können ebenfalls verspeist werden – mit Ausnahme: Insbesondere Aasfresser wie Geier, aber auch Adler, Reiher oder Pelikane sind tabu.

        Bestimmte Heuschrecken dürfen gegessen werden.

        Das wirkt im kollektiven Unterbewusstsein wohl noch nach. Ändert aber nichts daran, dass Menschen früher oder später alles gegessen haben, was in ihrer unmittelbaren Umgebung gewachsen ist.
        Mit Pflanzen sind wir weniger pingelig. Zu Soja, Mais und Bananen steht nichts in der Bibel.

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      6. Wenn es leicht verderblich ist, kann man es ja nachvollziehen. Das koschere Essen verbietet die Kombination von Milch und Fleisch, was wahrscheinlich vernünftig ist, wenn man keinen Kühlschrank hat. Auf der anderen Seite: Penne al Padrone…
        Vieles von den Speisevorschriften ist aber nicht rational. Wir sind bei der Ernährung eher Gewohnheitstiere, würde ich sagen.

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      7. Es ändert sich aber. Vieles was ich heute essen, haben meine Eltern noch strikt abgelehnt. Die haben vieles gar nicht erst probiert. Das reichte bei meinem Vater hin bis zu Paprika, meine Mutter schien experimentierfreudiger, erst als ich für sie kochen musste habe ich bemerkt, was sie alles nicht isst und aus Unkenntnis ablehnt. Die gleichen Leute, die mir beigebracht haben alles zu probieren um dann zu entscheiden, ob ich es mag. Ich bin also die demokratische, allesfressende Mitte, während viele junge Leute wieder aus ihrer Ernährung eine Religion machen.

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    2. Seit kurzem werden Wollhandkrabben nach China exportiert, wo sie als Delikatesse gelten. Ich finde es übrigens albern, sie nicht zu essen, wenn man andere Schalentiere isst. An der Französischen Atlantikküste kann man auch Taschenkrebs bestellen, hier immerhin Flusskrebs, Garnelen und Hummer. Warum also nicht auch Wollhandkrabben?

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      1. Diese Vorbehalte gegenüber verschiedenen Speisen sind hartnäckig und nicht ganz nachzuvollziehen. Manches ist halt mühsam aus der Schale zu bekommen. Schildkröten würde ich auch nicht essen wollen, die Zubereitung war recht brutal.

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      2. In Köln gibt es einige wenige chinesische Restaurants, die nichts mit den eingedeutschten „Chinesen“ zu tun haben und die auch hauptsächlich von Asiaten frequentiert werden. Vielleicht gibt es sie ja dort.
        Im Mongo’s gibt es Insektenteller. Die Vorstellung, Insekten zu essen ruft unter Deutschen ja auch hysterische Reaktionen hervor.

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    1. Es ist immer wieder erstaunlich, was Menschen alles wissen wollen und ausprobieren! Jedenfalls gut, dass wir das hier weitergeben können und uns und unsere Leser so vor großem Ungemach bewahren. 😉

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  2. Auch hier in den Seen gibt es die ausgesetzten Tiere. Unfassbar, was man im verlinkten Artikel liest!

    Ich habe 1980 eine Lehre als Köchin abgebrochen, Schildkrötensuppe stand auf der Speisekarte – kam aus der Dose. Tauben hingegen aus dem Taubenschlag des Chefs.

    Mein Großvater hatte Kaninchen und wir durften damit spielen, sie kraulen, füttern etc. Dann verschwand immer eins und es gab Kaninchen am Sonntag. Da habe ich geweint und wollte das nicht! Heute esse ich kein Fleisch mehr!

    Auch ich meine, dass wir den Bezug zum Ursprung des Fleisches verloren haben. Es ist Ware und wird unnötig grausam und viel zu viel hergestellt. Kühe und Schweine sind liebenswerte und soziale Wesen. Das sehe und lese ich gern hier: https://www.stiftung-fuer-tierschutz.de/

    Liebe Grüße,

    SyntaxiaSophie

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    1. Schildkrötensuppe aus der Dose ist schon sehr an der Grenze. Da finde ich die selbstgezüchteten Tauben weit sympathischer. Wenn man schon Fleisch isst, dann sollte man auch wissen, woher es kommt.

      Wir hatten in meiner Jugend auch Kaninchen. Das ist Essen ohne Ressourcenverschwendung. Das Schlachten war aber belastend, gebe ich zu.

      Die Massenware aus der Tierfabrik ist hingegen für mich unzumutbar, das gilt aber auch für das Gemüse aus der Agrarindustrie. Was das mit der Landschaft macht, will ich der nächsten Generation nicht hinterlassen.

      Mir ist aber auch bewusst, dass ich privilegiert bin. Mir fehlt nichts und ich kann mir Essen in Bioqualität leisten.

      Liebe Grüße, Richard

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