Ende Mai war bei uns die erste Stieglitzbrut flügge. Gewissenhaft haben die Vogeleltern ihren Jungen die Welt erklärt. Der ganze Trupp wurde in einem Obstbaum oder einem Strauch abgeladen, und die Jungtiere mussten lernen, sich ihr Futter zusammenzusuchen – immer unter dem wachsamen Blick eines der Elterntiere.
Anschließend gab es eine Einschulung, wie man der Reihe nach am Gartenteich trinkt, während immer mindestens einer Schmiere steht. Die Stieglitzfamilie kommt mehrmals am Tag vorbei. Wer mag, trinkt einen Schluck, aber bei der kleinsten Irritation sind alle weg. Am Teich sind sie vorsichtig.
Nach zwei, drei Wochen sind die Jungen erwachsen. Mich erstaunt jedes Jahr, wie schnell das geht. Kaum sind sie flügge, schon müssen sie allein zurechtkommen. Nur an der fehlenden roten Gesichtsmaske kann man sie noch von den Erwachsenen unterscheiden. Das Flauschige, Putzige haben sie abgelegt, und manche sind mittlerweile nicht nur selbständig, sondern auch deutlich mutiger als ihre Artgenossen.

Vom Teichrand mögen die anderen trinken, dieser Jungvogel sitzt mitten drin auf den Seerosen. An dieser Stelle ist das Wasser einen halben Meter tief, aber das kümmert ihn nicht.
Dass Vögel im Turbogang heranwachsen, liegt an ihrem speziellen Stoffwechsel. Ihre Körpertemperatur liegt bei 42 Grad, und auch die Lungen sind deutlich leistungsfähiger konstruiert, sonst könnten sie den Körper nicht mit ausreichend Sauerstoff für den Flug versorgen.1 Die kleinwüchsigen Arten haben außerdem eine kurze Lebenserwartung. Während ein Papagei 90 Jahre alt werden kann, liegen vor dem jungen Stieglitz im Idealfall sieben bis acht Jahre, in denen er selbst für Nachwuchs sorgen kann.
Für die Eltern ist ihre Aufgabe dieses Jahr noch nicht erledigt. Sie gönnen sich nur kurz eine Pause. Auf den folgenden Bildern sieht man das Männchen rechts im Hintergrund. Es hat die kräftigere Färbung und die rote Gesichtsmaske reicht bis hinter das Auge. Aufmerksam behält es den Fotografen im Blick, während seine Partnerin trinkt.
Im Sommer ist das für die beiden ein seltener Moment der Zweisamkeit. Mittlerweile sind neue Jungvögel unterwegs. Stieglitze brüten oft zweimal pro Saison. Das müssen sie auch, denn nur wenige Tiere werden wirklich sieben oder acht Jahre alt. Da haben Sperber, Katzen und andere etwas dagegen.
- Der Unterschied im Metabolismus von Säugetieren und Vögeln findet sich sehr schön erklärt in: Josef. H. Reichholf: Das Leben der Eichhörnchen, München 2019, S. 86-94 ↩︎





Stieglitze sehe ich hier erst, wenn die Disteln aussamen und auch dann nicht immer.
Von Josef H. Reicholf habe ich „Rabenschwarze Intelligenz“ Eins der wenigen Bücher, die ich nicht irgendwann weitergebe.
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Mir kommt vor, die Stieglitze werden bei uns von Jahr zu Jahr mehr. Vielleicht sehe ich aber auch nur alle aus der Gegend, weil der Teich ein Treffpunkt ist.
„Rabenschwarze Intelligenz“ kenne ich noch nicht. Das merke ich mal vor. Ich habe noch „Schmetterlinge“ und „Symbiosen“ von Reichholf. Die kann ich auch empfehlen.
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Oh traumhaft schön! Eines schöner als das andere!
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Danke!
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Vielleicht versuche ich, eines davon zu zeichnen, oder auch zwei, drei…
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Ich wünsche gutes Gelingen!
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Die Beschreibung aber ist unglaublich schön! Das muß ich langsam lesen und mir vorstellen: Wie die Vogeleltern ihre Kinder einschulen. „Man lernt nicht für die Schule sondern für das Leben.“ wurde uns damals in der Schule gesagt. Es war aber Schulwissen, nicht anwendbar für das Leben.
Die Vögel aber machen es richtig, ganz ohne „Schulbildung“.
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Die sind auch wirklich motiviert, ihren Kindern was beizubringen, schließlich geht es ums Überleben. Bei den Amseln und den Gartenrotschwänzen ist mir aufgefallen, dass eine der ersten Lektionen darin besteht, vor der Katze zu warnen. Die haben wirklich wie eine Schulklasse den Warnruf gelernt. Das war richtig lieb zu merken, wie der junge Gartenrotschwanz seine Mutter, die gerade unten am Teich war, auf die Katze hinweist. Aber es ist halt wirklich das Leben, nicht die Schule. Wer diese Lektion nicht lernt, hat wenig Chancen. Insofern: unsere geschützte schulische Umgebung hat schon auch was.
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Eigentlich müßte ich die ganze Vogelfamilie zeichnen. In der Gemeinschaft erkennt man erst, welchen Auftrag das Einzelwesen gerade erfüllt für das Ganze.
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Das kann man auch nur zeichnen. Fotografisch kriegt man sie kaum gemeinsam aufs Bild.
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Wie selbständig doch die Jungen schon bald sein müssen, und wie mutig oder zaghaft die Einzelnen sich dabei zeigen, ganz verschieden. Und wie wenig die Eltern sich einmischen und trotzdem wachsam sind, – da Verhalten sich die Vogeleltern vernünftiger als viele Menscheneltern.
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Toll, wie du das beschreibst und einordnest! Und die Fots sind wieder entzückend 🙂 Ich freue mich immer, wenn die Stieglitze im Garten zu Gast sind.
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Fotos soll es heißen.
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Eh. Ich kann das, glaube ich, sogar nachträglich editieren, aber solche Fehler sind authentisch. Da hat die Tastatur geschlampt. 😉
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Nee. Die Tipperin 😜
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Das verschweigen wir einfach. 😉 Rationalisieren ist legitime Psychohygiene. Die Tastatur hat den Kontakt nicht hergestellt.
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Danke! Freut mich, wenn das rüberkommt. Man weiß ja bei der Kommunikation vorher nie, ob das auch ankommt.
Der Stieglitz ist halt ein Sympathieträger. Da freut man sich automatisch, wenn der in den Garten kommt. Der ist zu schön. Außerdem haben sie so eine herrlich dezente Art sich zu unterhalten. Ich brauche die gar nicht mehr zu sehen, man hört sofort, wo sie sitzen.
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Ein Stieglitz-Junges habe ich gerade gezeichnet.
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Hier im Stadtteil gibt es die schönen Stieglitze auch. Ich bekomme sie seltenst einmal zu Gesicht. Meistens höre ich sie auf dem Weg zur Arbeit. Seit einigen Wochen singt einer sehr oft in einem Nachbargarten. Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass der Gesang so fein ist und die Vögel eher kompakt wirken mit dem Kernbeißerschnabel. Schon klar, dass die Töne nicht durch ihn allein produziert werden, aber die zarten Töne würden auch zu kleineren Vögeln passen. Ihr Lehrverhalten kenne ich von den Kohlmeisen ähnlich. Auch da sehe ich das Vor- und Nachmachen. Ziemlich schnell haben die Kleinen enorm viel gelernt. Aber das Leben ist, wie du schreibst, ja auch eher kurz für die Federbälle.
Wieder sehr schöne Bilder, mit wissenswerten Worten. Das Buch schaue ich mir einmal näher an – danke für den Hinweis.
Liebe Grüße,
SyntaxiaSophie
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Danke für das schöne Feedback! Ich höre die auch öfter, als ich sie sehe. Dabei sind sie sehr dezent in ihren Lautäußerungen.
Liebe Grüße, Richard
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Nach einer alten Sage blieb der Stieglitz übrig, als Gott die Farben an die Vögel verteilte. Weil in allen Töpfen nur noch Reste da waren, wurde aus dem Stieglitz ein so kleinteilig farbenfroher Vogel.
Schöne Bilder hast du von diesen hübschen Vögeln gemacht.
Mich erstaunt das schnelle Erwachsen werden auch immer wieder.
Aber die Zeit ist kurz, besonders wenn man an die Zieher denkt.
Liebe Grüße Brigitte
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Das ist eine schöne Sage. Aus den Farbresten ist was Feines geworden. Restlessen ist ja auch manchmal eine gute Mischung.
Liebe Grüße, Richard
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Heute habe ich ein weiteres Stieglitz-Junges aus der Familie gezeichnet und schrieb dazu die Worte:
„Eile mit Weile, – alles braucht seine Zeit.
Was einmal ein schöner Vogel werden will, darf noch ein wenig träumen.“
Ich fand, daß das paßte.
Gewundert allerdings habe ich mich über die herabhängenden Beine. Habe ich das richtig gesehen?
Wahrscheinlich steht es aber auf den Beinen.
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Oh ich merke gerade, das kann nicht stimmen. Das können nur 2 Blattstiele sein, eines mit einer Frucht obendrauf.
Ich muß es korrigieren,,falls das noch möglich ist.
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Ja, ich denke, das sind Teile vom Apfelbaum. Der Vogel sitzt ziemlich gedrungen, aber die Zeichnung ist trotzdem gut getroffen.
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Danke. Ich könnte die anscheinend hängenden Beine nur übermalen; aber man sieht sie trotzdem noch.
Zum Ausgleich malte ich nun noch einen Vogel: den prächtigen Vogelvater. Das Malen machte mir Freude.
Aber zum Schluß bemerkte ich, daß er doch etwas gedrungen aussieht.
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