Die übliche Allerweltsschlange

Die erste Ringelnatter des Jahres sehen und sie fotografieren sind bei mir quasi eins. Das Bildarchiv ist für mich eine unverzichtbare Dokumentations- und Orientierungshilfe. Vor allem der automatische Zeitstempel beweist mir immer wieder, dass ich mich auf mein Zeitgefühl nicht verlassen kann.

Ringelnatter

Wenn ich beim Abdrücken merke, dass das Licht passt und das Motiv mitspielt, rattern im Hinterkopf immer die Gedanken: Kann ich das Bild für den Blog gebrauchen? Ist das was Besonderes? Diese Ringelnatter ist schon deutlich früher auf der Jagd als ihre Vorgängerinnen, oder?

Schmecks! Die Schlange von vorgestern war eine Ringelnatter wie alle anderen. Letztes Jahr habe ich das erste Exemplar am 7. April fotografiert, 2021 was es der 30. und 2020 war es am 10. April. Das Bildarchiv lügt nicht, und selbst wenn mir die Festplatte einginge, hätte ich zu einigen der Fotos hier noch passende Blog-Beiträge, die ich mir raus suchen könnte.

Dabei ist gerade diese Regelmäßigkeit das Auffällige. Ringelnattern legen zwar im Jahresverlauf Distanzen von mehreren Kilometern zurück, aber die Tatsache, dass sie bei uns ab Mitte April durch den Teich schwimmen, deutet darauf hin, sie auch in der Nähe überwintern. In den naturnahen Gärten rundum gibt es genug Höhlen, wo sie überwintern können, und irgendwo ist sicher auch ein Komposthaufen, der beim Ausbrüten der Gelege hilft. Die kleinen Neuzugänge im Laufe des Spätsommers lassen daran keinen Zweifel.

Die Evolution hat hier eine Art hervorgebracht, die an den von Menschen geschaffenen Lebensraum Garten perfekt angepasst ist. Wahrscheinlich wird sie sogar vom Klimawandel und den milder werdenden Wintern profitieren, und so wird sie bei uns auch in Zukunft zur warmen Jahreshälfte gehören wie Urlaub, Zeltfeste und das Speiseeis. Warum steht sie dann auf der Roten Liste als „potentiell gefährdet“?1 Wie passt das zusammen?

Ringelnatter

Die Lösung liegt wahrscheinlich in der Spezialisierung auf Amphibien als Nahrungsgrundlage. Was früher allgegenwärtiges Futter war, wird heute immer seltener. Das Trockenlegen von Sumpfgebieten war sicher eine feine Sache, wenn es um die Eindämmung der Malaria und die Schaffung neuer landwirtschaftlicher Nutzgebiete ging. Die Ringelnatter wurde dadurch aber von einer Allerweltsschlange zu einer Seltenheit, und solange in den meisten Zierteichen statt der ortsüblichen Molche, Frösche und Kröten nur Goldfische schwimmen, wird sich daran leider auch nichts ändern.


  1. https://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/themen/naturschutz/rote_liste_amphibien_reptilien_2007.xlsx ↩︎

13 Kommentare zu „Die übliche Allerweltsschlange

  1. Lieber Richard, heute haben wir beim Reiherteich am Wienerberg die erste Ringelnatter über den Schotterweg kriechen sehen. Aber bevor ich mein Handy gezückt und die Kamera aktiviert hatte, war das scheue Schlänglein schon im Gebüsch verschwunden. Gut so. Zu meinem Trost habe ich ein schönes Exemplar der Höckerstreifen-Laufkäfers fotografiert. Liebe Grüße, Andreas

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    1. Lieber Andreas,
      schön zu wissen, dass die Ringelnattern auch am Wienerberg wieder aktiv sind. Euer Exemplar war wahrscheinlich etwas größer. Unsere ist ja nur ein bisschen länger als 20 Zentimeter, was man auf den Fotos nicht so sieht. Ich habe sie übrigens heute am Nachmittag wieder schwimmen sehen. Das wird quasi für die nächsten Wochen die Hausschlange.
      Liebe Grüße
      Richard

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  2. Ich staune immer wieder, was in deinem Garten kreucht und fleucht, toll! Schlangen habe ich in der Stadt noch nicht erlebt. Es ist irgendwie erschreckend, daß so viele Arten gefährdet sind, die mal als verbreitet galten. Wie du schreibst, eine „Allerweltsschlange „. Hoffentlich kann sie noch mal zu dem Status zurückkehren…

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    1. Ich denke, das Bewusstsein macht den Unterschied, und da laufen die Menschen auseinander: Die einen werden sensibler und den anderen ist es einfach nur wurscht. Das wird noch spannend.
      In Wien habe ich übrigens schon einige Ringelnattern und einmal eine große Äskulapnatter gesehen. Die gibt es auch in der Stadt.

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      1. Das ist ja verrückt! Oder auch nicht. Die Stadt bietet inzwischen ja so viel mehr Lebensraum als das Land. Trotzdem erstaunlich, Schlangen in einer Großstadt wie Wien zu finden. Ich kann es dieser Tage allerdings bestätigen, denn bei uns zeigt sich zur Zeit im Garten ein Feldhase! Ich weiß nicht, wie er hierhergekommen ist. Bei Recherchen fand ich heraus, daß in Berlin, gerne im Plattenbaubereich, etliche Feldhasen leben. Wo soll das noch enden? Ja in der Tat, es wird noch sehr spannend!!!

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      2. Feldhasen habe ich in Wien auch schon gesehen. Wenn die Stadt den Wohnraum so weiter verdichtet, wie sie es im Moment tut, werden viele Wildtiere aber wieder aufs Land ziehen, fürchte ich. Irgendwo im Regal steht „Darwin in der Stadt“ von Menno Schilthuizen. Darin beschäftigt er sich mit den Anpassungen der Tiere an die Stadt. War nicht uninteressant.

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      3. Echt? Bei euch gibt es wohl alles 🙂 Klingt interessant das Buch! Ich fürchte auch, mit der Nachverdichtung verschwinden auch noch die letzten Brachen. Hier wird zwar viel für den Naturschutz getan, aber wenn zeitgleich die Verdichtung intensiviert wird, wird irgendwann irgendeine Art (oder mehrere) auf der Strecke bleiben. Das ist schon ein enormer Anpassungsdruck. Manche Tiere kommen damit ja klar. Bewundernswert! Man hat manchmal das Gefühl, daß sich der Mensch dermaßen breit macht, das es für Tiere schlichtweg keinen Platz mehr gibt.

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