AMA und die Inzest-Bauern

Am Wochenende bin ich im Standard über eine Werbung der Agrarmarkt Austria gestolpert, die ich hier gern kostenlos wiedergebe, weil sie viel darüber aussagt, worin das Dilemma unserer modernen Landwirtschaft und ihrer Vermarktung besteht.

AMA-Werbung im StandardDer unbekannte Werbetexter lässt darin seine Cousine Moni, eine Milchbäuerin, darüber schwadronieren, was sie so nervt: „Das mit unserer Kultur‘ [sic!] nämlich. Alle reden sie davon, und wissen gar nicht, was sie eigentlich damit meinen!“

Ich bin ein großer Fan vom Depperlapostroph in all seinen Varianten, und ohne s dahinter kannte ich es noch gar nicht. Außerdem war ich gespannt, was folgen würde: der übliche Mozart oder doch die Walzerseligkeit des Neujahrskonzerts? Worauf wollte die von der AMA ernannte Kulturexpertin hinaus? Vielleicht ein zeitkritisches Zitat der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin? – Nein, die Moni meinte natürlich das von ihr hergestellte Produkt:

„Denn die Milch zählt bei uns zu den angestammten, uralten Kulturgütern.“

Das weiß die Moni genau, schließlich hat sie den Hof von ihren Eltern übernommen. Apropos Familie, die ist natürlich auch ganz wichtig auf dem Land:

„Im Grunde ist das ganze Dorf eine einzige Großfamilie“, lacht die Moni, „auch die Viecher zählen dazu!“

Wie hat man sich das vorzustellen? Die spielenden Kinder auf dem Hauptplatz sind alle dem Großbauern wie aus dem Gesicht geschnitten, im Hintergrund schlurft der Dorftrottel durchs Bild, und der Genpool wird maximal dann aufgebessert, wenn die fahrenden Händler vorbei kommen und sich die Franzi am Heuboden ihrer erbarmt? Ich dachte, diese geschmacklose Variante des Dorfschwanks ist spätestens mit der Autobahnanbindung aus der Mode gekommen.

Aber die Moni muss es besser wissen, sie ist ja Kulturexpertin. Und sie hat noch mehr auf Lager:

„Frühling ist, wenn es frisches Gras gibt. Wenn es zum Almauftrieb geht, steht der Sommer vor der Tür.“

Anders lassen sich die Jahreszeiten auch kaum feststellen. In Zeiten des Klimawandels könnte man noch sagen, Winter ist, wenn man aus dem Fenster steigen muss, weil der Schnee bis zum ersten Stock liegt, und im Hochsommer, wenn der Mais auf den Feldern verdörrt, staubt es wie in der Wüste. Aber das ist neumodisches Zeugs so wie die deutsche Grammatik zum Beispiel:

„Milch und Milchprodukte sind ein wesentlicher Teil unserer Ernährung, vom Milchschaum im Melange [sic!] über den Oberskren bis zur Käseplatte.“

Ehrlich? Im Melange? Aufpassen! Die ist immer noch feminin. Es sind schon Leute für weniger aus einem Wiener Kaffeehaus geflogen. Aber kommen wir von der rauen Kultur der Großstadt zurück zur Postkartenidylle, wo sich die Moni am Ende ihres Vortrags ein Glas Milch gönnt. Wir können davon ausgehen, dass dieses nicht von der Alm kommt, sondern aus einem Stall, in dem eine Kuh neben der anderen angebunden steht, und zweimal am Tag wird die Melkmaschine angesteckt. Anders könnte die Moni nämlich nicht gewinnbringend wirtschaften angesichts der Tatsache, dass ihr die Molkereien seit Jahrzehnten nur um die 35 Cent pro Kilo Milch bezahlen (Quelle AMA).

Aber warum druckt der Standard als Qualitätszeitung eigentlich diese schwachsinnige Werbung? Im Gegensatz zu Österreichs Milchbauern bekommt er dafür ein angemessenes Honorar mit Preisgarantie. Woche für Woche finden sich Texte von ähnlichem Niveau auf Seite drei. Und nicht nur im Standard. Noch teurer ist die Fernsehwerbung der AMA, die seit zwei Jahrzehnten über unsere Bildschirme flimmert. Und die Agrarmarkt Austria finanziert nicht nur unsere Medien mit ihren Millionen, auch für die Wissenschaft fällt etwas ab. In ihren Inseraten kommt immer irgendein Universitätsprofessor zu Wort, der etwas von Kalzium, Inhaltsstoffen und gesunder Ernährung schwafelt. Und es ist komischerweise nie einer von denen, die darauf hinweisen, dass der Osteoporose-Anteil in China nicht höher ist als anderswo, obwohl die Mehrzahl der Chinesen keine Laktose verträgt. Im Inserat vom 30. März meint beispielsweise ein Prof. Dr. K., Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Universität Wien:

„Es gibt überhaupt kein Lebensmittel, das spezifisch für den Menschen da ist, außer seine eigene Muttermilch – und die enthält Laktose. Diese Thematik hat viel damit zu tun, dass wir uns heutzutage sehr stark auf unseren Körper fokussieren und einfach nicht mehr akzeptieren können, dass es gewisse Wehwehchen gibt, die einfach zum Leben dazugehören. Jedes Bauchzwicken muss inzwischen irgendein Ernährungsdrama sein. Echte Laktoseintoleranz ist seltener als häufig vermutet.“

Da können wir dem Herrn Professor gern widersprechen: Laut Wikipedia betrifft die Laktoseintoleranz 75% der erwachsenen Weltbevölkerung, im deutschsprachigen Raum sind es immerhin noch 15%. Und von Bauchzwicken kann auch keine Rede sein. Ohne das Verdauungsenzym Laktase wandert der Milchzucker in den Dickdarm und wird von den dort vorhandenen Bakterien verdaut. Die machen damit ähnliches wie die Hefe im Germteig mit der Stärke. Als Verdauungsprodukt entstehen Gase, unser Darm geht im wahrsten Sinne des Wortes auf wie ein Germteig, und das Ergebnis drückt es einem dann mit Hochdruck ins ebenfalls sprichwörtliche Kreuz hinauf. Shit happens. Und, nur damit das klar ist: Das ist kein Schauspieler-Professor wie der Typ aus der Zahnpastawerbung. Der steht im Vorlesungsverzeichnis. Den lassen sie an der Uni auf unsere studierenden Kinder los.

Fragt sich nur noch: Wer ist die AMA, was will sie, und woher hat sie das viele Geld, mit dem sie Werbung, Medien und Wissenschaft kaufen kann?

Die Agrarmarkt Austria ist eine GesmbH mit gesetzlichem Auftrag. Sie „verfolgt das Ziel, sachlich-objektiv und faktenbasiert über Rohstoffe für die Lebensmittelerzeugung und über die Lebensmittel an sich aufzuklären.“ Hauptinstrumentarium dieses Marketings ist das AMA-Gütesiegel:

AMA-Gütesiegel„Seit zwanzig Jahren kennzeichnet das AMA-Gütesiegel Nahrungsmittel mit besondere [sic!] Güte. Die Länderfarben und die Herkunftsbezeichnung erklärt [sic!] transparent, woher die Rohstoffe stammen. Alle Kriterien werden von unabhängigen Stellen kontrolliert.“

Die Rechtschreib- und Grammatikprüfung rennt jedenfalls nicht drüber, sonst müsste ich nicht ständig „[sic!]“ in die Zitate einfügen. Aber das sind halt Profis, die brauchen sowas nicht. Die machen auch den ganzen Tag nichts anderes als Marketing für Lebensmittel. Und wer bezahlt das ganze Tamtam?

„Finanziert wird die AMA-Marketing GesmbH zum überwiegenden Teil durch verpflichtende Agrarmarketingbeiträge von Landwirten und Verarbeitern, durch Gebühren der Lizenznehmer und durch EU-Mittel zur Unterstützung ausgewählter Marketingmaßnahmen. Entsprechend den EU-rechtlichen Beschränkungen werden die Marketingmaßnahmen vor ihrer Durchführung von der EU geprüft.“*)

Na, dann ist ja alles gut. Die Moni und ihre KollegInnen dürfen sich die Darstellung der dümmlichen Idylle auch noch zwangsweise selbst bezahlen – von den 35 Cent pro Kilo Milch. Dafür wird aber auch alles dreimal geprüft und mit Siegel versehen. Wissenschaftliche Expertise inbegriffen. Nur auf die Rechtschreibprüfung haben sie vergessen. Und dass wir längst eine andere Form der Landwirtschaft bräuchten, um die Feinstaubbelastung durch Gülle, die Bodenerosion und das Insektensterben in den Griff zu bekommen, erwähnt jetzt auch keiner extra. Hauptsache wir trinken brav unsere Milch. Ich hole mir jetzt gleich ein gutes frisches Glas – und dann schnell aufs Klo!

7 Kommentare zu „AMA und die Inzest-Bauern

  1. Na ja, lieber Richard Du hast recht, ABER vom untergriffigen Stil her stellst Du Dich auf eine arrogante Weise über die dummen Bauern. Das gefällt mir nicht. In der Sache gebe ich Dir uneingeschränkt recht. Warum aber die Inzucht, die Dorftrottel…? Seriöse Kritik geht anders. Die zu kritisierende Sache klar benennen und den Gegner Mensch sein lassen, auch wenn einen dumme, fehlerhafte Werbung nervt. Ich hoffe ich blamiere mich nicht durch Rechtschreibfehler.

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    1. Vielleicht hätte ich es nicht satirisch versuchen sollen, das kann leicht missverständlich ausgelegt werden. Ich hatte das gleiche Gefühl, das du bei meinem Text empfunden hast, als ich die Werbung gelesen habe: Da stellt sich eine Einrichtung, die eigentlich im Sinne der Landwirte und der Konsumenten agieren sollte über diese beiden Gruppen. Die Bauern werden komplett unrealistisch verklärt als würden sie mit ihren Tieren in einer großen Familie leben, und die Konsumenten sollen gefälligst die Milch trinken, egal, ob sie sie jetzt vertragen oder nicht.
      Sachlich war meine Kritik sicher nicht, das gebe ich zu. Ich glaube aber auch nicht, dass die AMA „sachlich“ an unserem Wohl interessiert ist. Denen geht es nur um den Umsatz und ihre Werbung habe ich den Bauern und den Konsumenten gegenüber ziemlich zynisch empfunden. Angesichts der Tatsache, dass da Steuergelder und ein gesetzlicher Auftrag dahinter stehen, könnten sie ihre Werbung schon gewissenhafter formulieren. Ich mache mir aber auch nicht die Illusionen, dass die AMA meine sachliche Kritik interessieren würde, deshalb der satirische Ton.
      Tut mir leid, dass meine Position bei dir nicht so angekommen ist, wie sie gedacht war. Umso mehr freut mich, dass du trotzdem Feedback geben hast. Das hilft mir vielleicht, die Wirkung meiner Texte vorab besser einzuschätzen.
      Liebe Grüße, Richard

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      1. Ich meine, dass Du Gleiches nicht mit Gleichem zu vergelten brauchst. Es geht auch anders. Was das Interesse der AMA an Deiner Kritik angeht, kann ich nur über meine Erfahrungen mit anderen Firmen, Politikern… berichten, denen ich bei Missfallen gemailt habe und doch den Eindruck bekam, dass sie darauf reagieren. Ich hörte davon, dass beim ORF davon ausgegangen wird, dass hinter einer Zuschrift viele (ich kenn den Prozentsatz nicht mehr) viele Zuhörer/seher mit ähnlicher Meinung stehen, die halt nur nicht schreiben oder anrufen. Außerdem, möglicherweise denken Andere ähnlich wie Du und schreiben nicht, weil sie auch glauben interessiert eh keinen Menschen… . Nur Mut, glaub mir bei Kritik ist die AMA und nicht nur sie sehr empfindlich. Negativwerbung leistet sich keine ernstzunehmende Firma. Liebe Grüße, eine erfüllte Karwoche und Frohe Ostern wünscht die Gärtnerin mit dem gruenen Daumen

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      2. Danke. Ich verstehe deine Kritikpunkte. Die Erfahrung, dass Firmen und Institutionen auf Kritik reagieren, kann ich insofern bestätigen, als man zumindest eine schablonenhafte Antwort bekommt, weil sich die meisten mittlerweile professionelle PR-Abteilungen leisten. Ändern tut sich aber eher wenig.
        Dir auch ein schönes Osterfest. Möge das Wetter halten, was die Vorhersage verspricht. Bei uns scheint zumindest schon mal die Sonne und es wird langsam wärmer.

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  2. Habs gelesen, auch die Kritik von deingruenerdaumen.
    Nur soviel und das am Rande: Kultur ist (mittlerweite) ein sehr weiter Begriff (geworden).
    Sachlich richtig eine Sache darzustellen, dürfte – auch – nicht immer einfach und zweckdienlich sein.
    Jüngst etwa in einem Buch etwas über Neurogenese gelesen: Bestimmte Singvögel verfügen über diese, bei Menschen ist sie aber (anderslautend) nur für den Riechkolben nachgewiesen, wie ich weiß. Man tut also gut daran, die Kirche (allzeit) im Dorf zu lassen.

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