Das Leben unter der Erde

Wer nicht alles im Garten dem Zufall überlassen und an manchen Stellen auch sein eigenes Gemüse anbauen möchte, muss hie und da Erde bewegen. Das eine oder andere Beet will umgestochen werden, der Kompost muss aufgetragen oder die Kartoffeln angehäuft werden. Es ist jedesmal ein kleines Drama mit Spaten und Schaufel.

In einer Ecke unseres Gartens ist ein Erdhaufen, auf dem auch Äste und Pflanzenteile landen. Ich nehme mir immer wieder vor, Teile davon abzutragen, aber er wird eher größer als kleiner. Kaum habe ich eine Schaufel voll Erde hochgehoben, schaut mich irgend etwas an. Und damit meine ich nicht nur die unausweichlichen Regenwürmer, die im Laufe der Evolution ihre unglaubliche Regenerationsfähigkeit entwickelt haben, um später dagegen gerüstet zu sein, dass sie von Schaufeln zweigeteilt werden. Es sind nicht nur die Hunderfüßer, Asseln und Insekten, die überall herumkriechen. Einmal habe ich mit der Arbeit sofort wieder aufgehört, weil mich eine Erdkröte vorwurfsvoll anstarrte. Und dann sind da noch die pelzigen Erdbienen, die mich im Frühjahr immer umkreisen, sobald ich eine Schaufel in die Hand nehme. Mir ist nie ganz klar, ob sie sich über die aufgelockerte Erde freuen, weil sie darin ihre Brutbauten anlegen können, oder ob sie verzweifelt nach bereits angelegten Bauten suchen, die ich ihnen gerade abgedeckt habe.

Fest steht jedenfalls, dass unter der Erde mindestens genauso viel lebt wie auf ihr und dass uns das in den seltensten Fällen bewusst ist. Wir legen uns „unter“ einen Baum in den Schatten und ruhen doch auf einem Wurzelballen, der vielleicht so groß ist wie die Krone über uns. Wir sprechen von Erdoberfläche und meinen die Trennlinie zwischen oben und unten, dabei hat jedes Erdkorn eine eigene Oberfläche und auf jedem Quadratmillimeter sitzt unter uns eine Unzahl von Bakterien und Mikroorganismen, die permanent Biomasse abbauen, um über der Erde Leben zu ermöglichen. Es ist ein riesiges Filtersubstrat, das darauf spezialisiert ist, unseren Dreck zu verarbeiten, und es ist gut möglich, dass unter der Erde mehr lebt als über ihr.

Letzte Woche habe ich im Garten eine Blindschleiche gesehen. Die erste seit Jahrzehnten. Neugierig habe ich recherchiert, wovon sie sich ernährt: Regenwürmer. Diese Vorliebe teilt sie sich mit Igeln, Maulwürfen, Kröten, Fröschen, Vögeln und vielen anderen. Es ist unglaublich, wie viel unter der Erde lebt und wie viel von dem lebt, was unter der Erde lebt. Und es ist genauso unglaublich, wie nachlässig wir mit diesen Erdbewohnern umgehen. Wir kippen haufenweise Gülle, Dünger und Pestizide über unsere Felder und denken, es wird schon passen. Solange oben der Mais nur möglichst schnell in die Höhe schießt, muss ja alles richtig sein.

Kartoffelbeet

Mag sein, dass ich beim Anhäufeln meiner Kartoffel den einen oder anderen Regenwurm zerkleinert und die Brutplätze der Erdbienen durcheinander gebracht habe. Mag auch sein, dass an der Stelle, wo unsere Gemüsebeete sind, genauso gut Raupenfutterpflanzen und eine Blumenwiese für Wildbienen gedeihen könnten. Fix ist aber auch, dass in einem Garten diese Dinge viel kleinteiliger passieren als beim Landwirt auf dem Feld. Ein Kartoffelfeld ist eine großflächige Monokultur, ein Gemüsegarten ist nur ein flächenmäßig kleiner Teil, der manchmal sogar die Biodiversität insgesamt erhöht. Und das merkt man am Ergebnis. Mit ein bisschen Kompost und Erfahrung wächst eigentlich alles von selbst, ganz ohne zusätzlichen Dünger und Chemie.

Vieles von dem, was in unserem Garten wächst, tut dies mit der Hilfe unserer  unterirdischen Gartenbewohner. Aber auch diese profitieren von dem, was wir hier heroben machen. Nirgends in unserem Garten ist so viel Leben unter der Erde wie auf dem Komposthaufen. Die Würmer mögen nämlich in Wirklichkeit unseren Dreck, aber es kommt wie immer auf die richtige Dosis an.

6 Kommentare zu „Das Leben unter der Erde

    1. Ich habe wahrscheinlich schon seit mehr als 30 Jahren keine mehr gesehen. Die lagen früher oft beim Radfahren tot auf der Straße. Lebendig und ausgewachsen, so um die 40 Zentimeter, war das bestimmt die erste.

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  1. Bei diesem Satz „Kaum habe ich eine Schaufel voll Erde hochgehoben, schaut mich irgend etwas an.“ hab ich mich sofort angesprochen gefühlt! 😀 oh wie wir dieses Gefühl kennen! Man kanns ich so schlecht fühlen, wenn man irgendwo eine Spatenin die Erde sticht oder einen alten Asthaufen abträgt… 😉 hihi! Wie schön, dass es nicht nur uns so geht!

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    1. Ja, und egal, was man ausleert, man leert es irgendwem auf den Kopf. Wenn ich den Mörtelkübel auswasche, denke ich mir, ist das jetzt einfach nur Kalk, hat das die Wirkung von Kunstdünger? Kann ich das in die Wiese kippen? Gehört das besser in den Abfluss? Oder richtet es in den Gewässern dann mehr Schaden an? Man hätte besser Chemie studieren sollen.

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