Über den Dächern von Wien

Turmfalke

Über das Turmfalkennest in diesem Beitrag gibt es nicht nur eine Universum-Folge des ORF, es war – was natürlich viel wichtiger ist – auch schon einmal Thema in diesem Blog hier. Mittlerweile hat das gegenüber liegende Neue Institutsgebäude der Universität Wien keine Mensa mehr. Im obersten Geschoß befindet sich jetzt ein Aufenthaltsbereich und man kann auf die Dachterrasse, um mit dem Teleobjektiv von oben ins Nest zu schauen.

Die Turmfalken im Zentrum der Stadt brüten manchmal etwas später als im Umland, weil sie die Beute von weiter her holen müssen. Am 23. Mai saß das Muttertier noch auf dem Nest und deckte alles ab. Zwei Wochen später war ich wieder oben, da hatten die Jungen schon weißen Flaum. Anscheinend waren es drei Stück.

Noch drei Wochen später, am 24. Juni sah es so aus, als würde der Nachwuchs gleich das Nest verlassen. Ein Jungvogel ging bereits auf dem Sims spazieren, ein anderer hielt sich noch vorsichtig zurück.

Anfang Juli saß immer noch ein Jungvogel im Nest. Sein Kollege war aber längst aufs Dach übersiedelt.

Auf dem nächsten Bild habe ich die beiden Positionen mit kleinen Kreisen markiert, damit man sich das räumlich vorstellen kann. Ich widme das Foto den zahlreichen Erfindern, die in den letzten Jahrzehnten die Zoomobjektive weiterentwickelt haben. Mit freiem Auge könnte ich nicht einmal erkennen, ob im Nest ein Vogel sitzt.

Der Jungvogel auf dem Dach hielt Futter in den Krallen, das er genüsslich verspeiste. Erst am Computer entdeckte ich, dass es sich anscheinend um eine Heuschrecke handelte. Die hatte sich wohl gründlich verflogen und wurde so zum Grünfutter für den Turmfalken. In Zukunft wird er sich von Nagetieren ernähren wie seine Artgenossen, aber das erste selbst gefangene Futter schien ihm gut zu schmecken.

Für dieses Jahr geht die Brutsaison der Turmfalken zu Ende. Nächstes Jahr beginnt alles wieder von vorne. Wer weiß, wie viele Generationen an diesem Stammplatz schon ihre ersten Jagderfahrungen sammelten, um anschließend vom Dach aus den Luftraum der Stadt zu erobern.

Stammplatz

Turmfalkennnest

Dass über dem Eingang zum Haus Liebiggasse 5  „Universität Wien“ steht, ist nichts Ungewöhnliches, befinden sich hier doch die Räumlichkeiten der Fakultät für Psychologie. Auffälliger ist schon das Habsburger Wappen im zweiten Stock. Man würde den Doppeladler eher auf einem Regierungsgebäude vermuten wie über dem ehemaligen Kriegsministerium am Stubenring, und tatsächlich beherbergte die Liebiggasse 5 nach der Errichtung 1883 auch das Ackerbauministerium der k. u. k. Monarchie.

Heute wohnen hinter dem Doppeladler die Falken, und zwar nicht irgendwelche, sondern die Fernsehprominenz: Vor zwei Jahren drehten die Naturfilmer Mario Kreuzer und Leander Khil eine Universum-Folge über diese Turmfalken, die am 11. Dezember 2018 in ORF 2 ausgestrahlt und später von Arte übernommen wurde.

Turmfalken gehören zur Stadt wie die Tauben, Spatzen und Ratten. Der typische Kulturfolger ist allerdings Allesfresser. Reine Fleischfresser sind selten. Die Turmfalken beherrschen dieses Kunststück, weil ihr Aktionsradius entsprechend groß ist. Will man einen dieser Vögel bei der Jagd beobachten, wird man am ehesten in den Weingärten am Stadtrand fündig.

Am Nest findet man die Elternvögel nur selten. Sie liefern kurz ihre Beute ab und begeben sich dann sofort wieder auf die Jagd. Das Zerteilen besorgt der Nachwuchs ab einem gewissen Alter selbst.

Die drei jungen Turmfalken von der Liebiggasse 5 sind übrigens schon ausgeflogen. Wer aktuell in der Nähe ist, geht einfach um die Ecke und stellt sich an der Straßenbahnstation Landesgerichtsstraße vor die Universitätsstraße 11. Über dem Fenster im ersten Stock ganz links außen ist ein Nest mit nicht weniger als fünf Jungen, die brauchen noch ein wenig. Und nächstes Jahr beginnt die Brut sowieso von neuem. Turmfalken bauen kein eigenes Nest, sie übernehmen die Hinterlassenschaften anderer Vögel und bleiben den Plätzen dann über Jahre hinweg treu. Vor allem wenn die Brut erfolgreich ist, behalten die Pärchen ihren Stammplatz.