Stammplatz

Dass über dem Eingang zum Haus Liebiggasse 5  „Universität Wien“ steht, ist nichts Ungewöhnliches, befinden sich hier doch die Räumlichkeiten der Fakultät für Psychologie. Auffälliger ist schon das Habsburger Wappen im zweiten Stock. Man würde den Doppeladler eher auf einem Regierungsgebäude vermuten wie über dem ehemaligen Kriegsministerium am Stubenring, und tatsächlich beherbergte die Liebiggasse 5 nach der Errichtung 1883 auch das Ackerbauministerium der k. u. k. Monarchie.

Heute wohnen hinter dem Doppeladler die Falken, und zwar nicht irgendwelche, sondern die Fernsehprominenz: Vor zwei Jahren drehten die Naturfilmer Mario Kreuzer und Leander Khil eine Universum-Folge über diese Turmfalken, die am 11. Dezember 2018 in ORF 2 ausgestrahlt und später von Arte übernommen wurde. Zur Zeit befindet sich noch eine Kopie auf YouTube.

Turmfalken gehören zur Stadt wie die Tauben, Spatzen und Ratten. Der typische Kulturfolger ist allerdings Allesfresser. Reine Fleischfresser sind selten. Die Turmfalken beherrschen dieses Kunststück, weil ihr Aktionsradius entsprechend groß ist. Will man einen dieser Vögel bei der Jagd beobachten, wird man am ehesten in den Weingärten am Stadtrand fündig.

Am Nest findet man die Elternvögel nur selten. Sie liefern kurz ihre Beute ab und begeben sich dann sofort wieder auf die Jagd. Das Zerteilen besorgt der Nachwuchs ab einem gewissen Alter selbst.

Die drei jungen Turmfalken von der Liebiggasse 5 sind übrigens schon ausgeflogen. Wer aktuell in der Nähe ist, geht einfach um die Ecke und stellt sich an der Straßenbahnstation Landesgerichtsstraße vor die Universitätsstraße 11. Über dem Fenster im ersten Stock ganz links außen ist ein Nest mit nicht weniger als fünf Jungen, die brauchen noch ein wenig. Und nächstes Jahr beginnt die Brut sowieso von neuem. Turmfalken bauen kein eigenes Nest, sie übernehmen die Hinterlassenschaften anderer Vögel und bleiben den Plätzen dann über Jahre hinweg treu. Vor allem wenn die Brut erfolgreich ist, behalten die Pärchen ihren Stammplatz.

12 Kommentare zu „Stammplatz

  1. Sehr schöner Beitrag mit tollen Fotos Richard . Häufig sind die jungen Turmfalken schon recht früh neben ihren Bruttstätten zu sehen . Wirken schon sehr erwachsen , werden aber noch sehr lange von den Eltern gefüttert.

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    1. Danke. Ich konnte die in den letzten Tagen auch genau beobachten, weil ich im Nachbargebäude arbeite. Es ist unglaublich, wie schnell aus einem flauschigen Knäuel ein Falke wird. Aber natürlich bleiben sie noch lange unselbstständig.
      Liebe Grüße, Richard

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  2. Schöne Bilder in all diesen verschiedenen Haltungen und ein weiteres Beispiel dafür, dass Greifvögel und Großstadt besser zusammenpassen als eigentlich erwartet. Aber Wien scheint in der Hinsicht sowieso viel zu bieten zu haben; ich erinnere mich an einen Film von Georg Riha über Flora und Fauna im und um den Stephansdom herum.

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  3. Fantastische Fotos dieser interessanten Turmfalken, aber auch das Gebäude fasziniert mich sehr! Typisch für die wunderschöne Stadt, die auch ich immer wieder gerne besuche.
    Liebe Grüße von Hanne

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  4. Das, was ich immer wieder feststelle. Die Tiere, gleich welcher Art, sind durchaus in der Lage sich den Gegebenheiten anzupassen. Letztlich geht es aber immer nur um das Futter. So kann man auch in den Städten sehr schöne Beobachtungen machen. Dein Beitrag ist das beste Beispiel dafür. Sehr schön und mit tollen Bildern untermalt.
    LG Jürgen

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    1. Danke. Futter gibt es genug. Leider vertrauen die Menschen zu wenig darauf, dass es weggeräumt wird und bemühen sich die Nager selbst zu vernichten, aber selbst da ist die Natur gescheiter und passt sich an. Ich habe neulich gelesen, dass nicht nur die Ratten Residenzen gegen Gifte entwickeln, sondern mittlerweile auch die Raubtiere in der Stadt erstaunlich immun dagegen sind.
      Liebe Grüße, Richard

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