Ein amerikanischer Albtraum

Keine Sorge, ich bin jetzt nicht unter die Literaturbesprecher gegangen, wie der Titel vielleicht vermuten lässt. Außerdem ist die Underworld Trilogie von James Ellroy zwar gut aber alt. Das hier ist eine aktuelle Feiertagshorrorgeschichte mit versöhnlichem Ausklang.

Wir haben uns zu Christi Himmelfahrt ein üppiges Mittagessen im Gasthaus gegönnt. Anschließend war ein Kontrollgang mit übervollem Magen durch den Garten angesagt. Die letzten Tage hatte es reichlich geregnet, und das Wetter war immer noch ausgesprochen schlecht – kalt, grau und zeitweise getröpfelt hat es auch.

Irgendetwas am Teich passte mir nicht. Mir fehlten Kaulquappen. Außerdem trieben abgerissene Seerosenblätter auf dem Wasser. Und dann war da eine Bewegung, die nicht hierher gehörte. Ein Schatten sah aus wie eine übergroße Kröte. Was war das? Es gibt Dinge, die sieht man, will sie aber nicht wahrhaben, weil sie unmöglich sind: Zwischen den Halmen der Seerose saß in unserem Gartenteich eine Schildkröte von gut 20 Zentimeter Länge!

Frau (aufgeregt): Die muss raus!
Ich: Und? Wohin? In die Suppe?
Frau (bestimmt): Warum nicht? Die muss jedenfalls raus, und zwar sofort!

Was frau sich einbildet, hat zu geschehen. Normalerweise unterwerfe ich mich und gehorche. Diesmal war ich zu langsam. Sie schnappte sich unsere billigen, für das Vorhaben viel zu filigranen Kescher, platzierte einen links, einen rechts der Schildkröte, zog das Vieh Richtung Rand und rief: Schnapp sie dir, schnell!

Wie gesagt, normalerweise gehorche ich, wenn frau mir etwas sagt. Aber nicht, wenn ich nach dem Mittagessen mit vollem Bauch in der Kälte am Teichrand stehe und sie mir anschafft, ich soll ein wildes Tier unbekannter Provenienz mit bloßen Händen aus dem saukalten Wasser holen.

Also machte sie es selbst. Aber nicht richtig. Wahrscheinlich weil sie mir im Jagdfieber parallel mitteilen musste, was sie gerade von meinem Zögern hielt. Der Teil war leider nicht jugendfrei. Vielleicht auch, weil die Schildkröte eine Wasserschildkröte und folglich in ihrem Element war. Jedenfalls war das Ding weg und die Bluse bis zu den Ellbogen nass.

Ich war noch trocken, kam aber zu diesem Zeitpunkt der Geschichte auch nicht wirklich gut weg, also flüchtete ich mich in Gedanken: Gelbwangen- oder Rotwangen-Schmuckschildkröte? Kann man die in einem Zoo abgeben? Wer hat die ausgesetzt? Auf einer Panikskala zwischen eins und zehn: Sind wir schon jenseits der sieben oder besteht noch eine Chance, dass wir aus diesem Schlamassel heil herauskommen?

In meiner Verzweiflung versuchte ich es mit Wunschdenken und trottete zur Nachbarin. Im Idealfall war das Reptil einfach nur ausgerissen und wurde schon wo vermisst. Nach einem kleinen Rundruf bahnte sich auch eine Lösung an: Ein paar Häuser weiter war ein kleiner Teich seit zehn Jahren das eigentliche Domizil dieser Rotwangen-Schmuckschildkröte. Bislang war sie immer brav und sesshaft, und sie wurde auch bereits verzweifelt gesucht. Jetzt mussten wir sie nur noch aus dem Wasser bekommen, aber das gelang uns trotz gemeinsamer Anstrengungen nicht. Unser Teich hat einen Durchmesser von acht Metern und eine Tiefe von über eineinhalb. Sich da zu verstecken, ist für eine Wasserschildkröte ein Leichtes, außerdem begann es wieder zu regnen, also verschoben wir die Aktion auf später und genehmigten uns in der Küche einen Kaffee.

Ich konnte das Tier dann etwas später in aller Ruhe ganz leicht allein einfangen. Man muss nur wissen, wie es geht. Ein Kescher vorn, ein Kescher hinten. Fühlt sie sich bedroht, zieht die Schildkröte die Gliedmaßen ein. Den wehrlosen Panzer kann man leicht raus ziehen und in einen Kübel packen.

Zuhause wurde sie schon verzweifelt erwartet. Gleich morgen kommt ein kleiner Zaun rund um den Teich, damit das nicht noch einmal passiert. Und dann bekam das arme, halbverhungerte Tier auch noch eine Protion Leckerli. Dass die sich bei uns im Gartenteich wahrscheinlich eine halbe Jahresration Kaulquappen einverleibt hatte, bis der Panzer über der Wampe spannte, war nicht beizubringen. Ist auch egal. Hauptsache, das Drama hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Den Teilverlust wird die Amphibienpopulation wegstecken können, solange der Übeltäter nicht dauerhaft bleibt.

Man liest viel über die Auswirkungen eingeschleppter Arten. Die in den USA und Mexiko beheimateten Rotwangen-Schmuckschildkröten waren mir aus Wiener Parks durchaus ein Begriff. Im Floridsdorfer Wasserpark oder im Dehnepark sind sie eigentlich niedlich anzusehen, und in meinem Bildarchiv findet sich das eine oder andere Foto, wie sie sich genüsslich auf einem Baumstamm sonnen.

In einem kleinen Gartenteich kommt ein mehrstündiger Aufenthalt eines einzelnen Exemplars aber bereits einer mittleren Katastrophe gleich, und ich bin wirklich froh, dass die Geschichte noch einmal glimpflich ausgegangen ist.

23 Kommentare zu „Ein amerikanischer Albtraum

  1. Eine sehr schön, geschriebene Geschichte. Leider ist es wirklich in vielen Gegenden zu einem Übel geworden. Erst kaufen. Dann werden sie den Besitzern lästig und einfach ausgesetzt. Gibt es in meinem Gebiet auch. In versch. Parks, selbst in der Lippe habe ich sie schon gesehen.
    LG Jürgen

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    1. Ja, leider passiert das überall. Ich hatte früher, seit der Schulzeit, ein Aquarium, und ich kann die Freude an diesem Hobby nachvollziehen, aber viele Arten, die gehandelt und gehalten werden, sind dafür einfach ungeeignet.
      Liebe Grüße, Richard

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    1. Um ehrlich zu sein, wir waren zuerst völlig verzweifelt und planlos. Aber als sich die Lösung abzeichnete, waren wir deutlich entspannter, und als wir gesehen haben, dass der Nachbar sein Haustier, das für uns eher ein Monster war, schon schmerzhaft vermisst hat, war die Sache für uns auch rein lustig. Die Kaulquappen werden immer gefressen. Von den Libellenlarven oder einer Ringelnatter. Insofern ist der Verlust normal. Auf Dauer sind diese Schildkröten aber ein großer Schaden.

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  2. Mensch geht ja auch gern mal in ein anderes Restaurant … die Ausbrecherin hat das als „All you-can eat“-Angebot genutzt. Wirklich gut geschrieben, dem Lob schliesse ich mich an, man möchte es direkt irgendwo mal als Filmszene eingebaut sehen 🙂

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    1. Danke. Wir haben uns auch wirklich gut unterhalten. Am Abend haben wir noch gelacht über die ganze Aufregung. Aber ich hoffe wirklich, das war ein einmaliger Ausflug und sie kommt nicht wieder. Auch zufriedene Gäste machen nicht immer Freude.

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  3. Gestern wurde hier auch so ein liebes Tierchen vermisst gemeldet. Was ich vorher nicht wusste: Die gehen auf Wanderschaft, wenn sie einen Partner suchen.
    In Hamburg sind sie schon fast überall. Unklar ist, ob sie sich in Freiheit vermehren, oder ob die alle ausgesetzt wurden.
    Jedenfalls ist das übliche Procedere: Kleine niedliche Schildkröten aus dem „Zoofachhandel“ (sollte verboten werden) ins Aquarium, ohje, die fressen, scheißen, wachsen (Schildkrötenwasser muss täglich gewechselt werden), ab in den Gartenteich, ohje, die fressen, scheißen, wachsen (ja, auch im Gartenteich), ab ins nächste Freiland-Gewässer (Park, Fluss, See, Klospülung) und da bleiben sie denn und fressen alles, was sich nicht wehrt.

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    1. Vielleicht hätten wir doch nach einem Suppenrezept suchen sollen statt das Ding zurück zu geben. Ich glaube, die Rotwangen vermehren sich auch bei uns, deshalb ist der Import verboten, während es den Gelbwangen zu kalt ist. Beide werden aber zu groß, deshalb sollte es ein Verbot geben, da hast du recht.

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      1. Ich bin für ein grundsätzliches Verbot. Wildtiere sind nun mal keine Haustiere, werden aber im „Zoofachhandel“ an Hinz und Kunz verkauft. Was schon für „normale“ Haustiere gilt: Hund, Katze , Kaninchen, gilt im Extremfall für Exoten: Die wenigsten Leute, die eine niedliche Kleine Schildkröte, eine Schlange oder einen Vogel erwerben, machen sich Gedanken über artgerechte Haltung. Die Gelbwangen überleben irgendwie, andere nicht. Im Winter wurde eine erfrorene Python aus einem Komposthaufen ausgebuddelt. Das arme Tier hatte es irgendwie mit letzter Kraft geschafft, sich im warmen Kompost einzugraben, der dann aber auch auskühlte.

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      2. Eine Prüfung sollte zumindest verpflichtend sein. Bei den meisten scheitert es an Fachwissen. Und gewisse Arten sind für die Haltung ungeeignet.

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    1. Es war schon eine sehr witzige Szene, aber eigentlich erst, als wir wussten, dass wir das Tier wieder los werden. Die Auswirkungen in den Gewässern ist sicher verheerend. Und wer weiß, wie viele Exemplare gar nicht ausgesetzt werden, sondern auskommen, weil sie irgendwann geschlechtsreif werden und auf Wanderschaft gehen.

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      1. Ich schätze mal, man muss sie dann aber auch wirklich essen. Ohne Anlass ein gesundes Tier töten ist sicher illegal. Also müssen sie in die Suppe. Und wer weiß, ob die nicht reichlich zäh sind. Ich würde mich nicht opfern. 😉

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