Wie Kröten sterben

Vielleicht hat sich der eine oder andere unter den geneigten Lesern schon einmal Gedanken über den perfekten Tod gemacht. Wer dabei an einen Abgang während einer Ménage-à-trois denkt, von dem man nicht wirklich etwas mitbekommt, weil einem wegen hormonell bedingter Bewusstseinstrübung immer noch ein seliges Lächeln auf den Lippen liegt, dem empfiehlt sich eine Wiedergeburt als Erdkröte.

Erdkröten zu dritt

Die Umklammerung auf dem Bild links mag irrtümlich an ein zärtliches Gruppenkuscheln erinnern, hat damit aber gar nichts zu tun. Es ist ein beinharter Kampf um Leben und Tod. Was ich hier aus dem Teich gefischt habe, war ein Knäuel von mindestens vier Erdkröten. Ein Männchen hat gleich zu Beginn wieder losgelassen und ist weggeschwommen, aber die beiden anderen hielten sich noch ungefähr eine Viertelstunde regungslos an ihrer Angebeteten fest.

Das vordere Männchen hob kurz nach der Bergung ganz langsam den Brustkorb, anscheinend um tief Luft zu holen. Es war das schwächste Tier von den dreien und kaum noch bei Bewusstsein. Das zweite Männchen schien stärker und auch etwas größer, trotzdem ließ es nach einiger Zeit los und sprang wieder ins Wasser.

Krötenpärchen

Kurze Zeit später hüpfte auch das Weibchen wieder in den Teich und schwamm mit seinem ursprünglichen Partner davon. Diesmal ist noch alles gut gegangen, aber die Zukunftsaussichten sind schlecht. Nach der Paarungszeit durchsuche ich den Teich jedes Jahr gründlich und entferne die verendeten Kröten.

Es kommt nicht nur darauf an, dass das Weibchen gesund und kräftig ist, auch das Männchen muss über ausreichende Kondition verfügen. Seine Aufgabe besteht nicht nur darin, am Ende den Laich zu befruchten, es muss auch aufdringliche Rivalen mit den Hinterbeinen in Schach halten. Sobald ein zweites Männchen die Möglichkeit hat, sich festzuklammern, folgt bald ein drittes, und dann ist das Weibchen sehr schnell bewegungsunfähig und dem Untergang geweiht.

In den ersten Jahren, wenn die Zahl der eintreffenden Kröten gering ist, besteht diese Gefahr nicht. Im Moment warten in unserem Teich aber mehr als zehn Männchen auf das nächste Weibchen. Dann kommt es darauf an, dass sie eines der kräftigeren Männchen erwischt, denn die gesamte Prozedur dauert eine Woche, und eine Unachtsamkeit kann gefährlich werden.

Erdkröten zu dritt

Manchmal liest man, ein gut untergliederter Uferbereich würde helfen, damit nicht alle Männchen gleichzeitig beim Weibchen einlangen. Die eigentliche Gefahr droht meiner Meinung nach aber erst später. Das Foto links stammt vom Vortag. Das Krötenpärchen wird von einem unruhigen Männchen bedrängt, das sich Chancen ausrechnet, seinen schwächelnden Konkurrenten zu beerben. Um das zu verhindern, könnte ich maximal überzählige Männchen abfischen und in einem Aquarium verwahren, bis ein Platz frei wird oder die Paarungszeit vorbei ist.

Im Grunde genommen hieße das aber, in die natürliche Selektion einzugreifen. Das System der Erdkröten garantiert nämlich, dass sich nur kräftige Weibchen und ebensolche Männchen vermehren. Im Gegensatz zu den meisten heimischen Fröschen, die mit maximal 500 Eiern pro Gelege das Auslangen finden, laicht ein Erdkrötenweibchen in zwei Doppelschnüren bis zu zehnmal so viele Eier ab. Da braucht es nicht so viele erfolgreiche Pärchen, um den Erhalt der Art zu sichern.

Im Sinne der Natur hat also alles seine Richtigkeit. Es ist auch beeindruckend zu sehen, wie das Weibchen, das vor kurzem noch um sein Leben gerungen hat, todesmutig wieder in die Fluten springt, um das riskante Fortpflanzungswerk vielleicht doch noch zu einem guten Ende zu bringen. Eine andere Chance hat sie auch nicht. Fünftausend Eier kann sie nicht einfach den Rest des Jahres mit sich herumschleppen. Sie muss ihr Geschäft zu Ende bringen, koste es, was es wolle, notfalls auch das Leben.

Nachtrag April 2021

Mittlerweile ist dieser Beitrag ein wenig in die Jahre gekommen, unser Teich hat gerade die sechste Laichsaison hinter sich gebracht, und ich darf etwas „Statistik“ nachtragen. In den ersten zwei Jahren gab es einmal zwei und einmal vier Pärchen, die ablaichen konnten. Überzählige Männchen gab es wenige und keine toten Weibchen. Im dritten Jahr gab es dafür acht „Ausfälle“. Danach immer nur vereinzelte. Letztes Jahr gab es nur ein Opfer, aber die Zahl der Kröten hat sich seit Beginn vervielfacht. Es sind in den beiden Wochen des Hauptbetriebs über hundert Tiere, die sich in einem Teich von acht Metern Durchmesser tummeln, das Wasser scheint zu brodeln, und am Ende sind alle Pflanzenteile mehrfach mit schwarzen Schnüren umwickelt.

Laut Fachliteratur kehren über 80 Prozent der Tiere zum Ablaichen an das Herkunftsgewässer zurück. Der Rest sorgt für genetische Durchmischung und besiedelt neue Habitate. Bei uns gab es vier Saisonen, die den Pionieren gehörten, danach wurden wir von den Rückkehrern überlaufen. Gleichzeitig konzentriert sich das Laichgeschehen seither auf einen kürzeren Zeitraum. Die Kröten versammeln sich und beginnen dann alle gleichzeitig ihre Schnüre abzulegen. Theoretisch müsste sich mit dem Gedränge auch die Zahl der Ausfälle deutlich erhöhen, aber das tut es nicht. Das Gegenteil ist der Fall. In der Masse läuft alles geordneter ab. Die Mehrfachpaarung kann meiner Meinung nach nicht die einzige Ursache dafür sein, dass wir im dritten Jahr eine Anhäufung toter Kröten im Teich hatten.

Wer zu diesem Thema googelt, findet schnell heraus, dass das Phänomen viele Teichneulinge verunsichert, und es ist auffällig, dass in den Beschreibungen immer nur von toten Weibchen die Rede ist. Der Größe nach zu schließen, waren auch bei uns nur weibliche Tiere betroffen. Ich habe sie nicht seziert, aber meiner Meinung nach sterben sie vor dem Ablaichen. Andernfalls hätte die Zahl der Laichschnüre im betroffenen Jahr höher sein müssen. Erdkrötenmännchen wehren sich durch einen eigenen Ruf gegen andere klammernde Männchen, aber auch für Weibchen muss es nach dem Ablaichen einen ähnlichen Signalmechanismus geben. Ich sehe sie abends nämlich unbelästigt aus dem Teich steigen. Im Normalbetrieb sterben also Kröten nicht nach dem Ablaichen, wie im Netz oft vermutete wird.

Momentan kann ich mir zwei mögliche Erklärungen vorstellen, die neben der Mehrfachpaarung für den Tod der Weibchen verantwortlich sein könnten. Unter Umständen ist es ein Phänomen der „Pionierphase“ und legt sich, wenn die nächste Generation an den Teich zurückkehrt. Vielleicht ist am Anfang der Prozentsatz der Männchen höher. Außerdem könnte sein, dass vor allem ältere, schon schwächere Tiere auf neue Gewässer ausweichen. Zusätzlich war der Winter mit den acht toten Kröten relativ lang. Die Eisdecke blieb bis kurz vor dem Laichen geschlossen, wodurch sich Faulgase ansammeln können. Ich spüle seither am Ende des Winters den tieferen Bereich des Teichs mit Wasser aus der Zisterne. Das beschleunigt den Gasaustausch und beseitigt Faulgase. Für diese Theorie würde sprechen, dass der vorliegende Beitrag nach strengeren Wintern in den Zugriffszahlen nach oben schnellt.

Abgesehen von naheliegenden Fehlern wie einem zu steilen Randbereich, braucht es also vielleicht nur eine kurze Spülung mit dem Schlauch, um das Ertrinken der Weibchen zu verhindern. Für Pumpen, Filter und Eisfreihalter besteht in einem naturnahen Teich von ausreichender Größe meiner Meinung nach aber kein Bedarf. Darauf können Sie im Sinne der Umwelt gern verzichten.

Mir ist klar, dass das Phänomen der toten Kröten während der Laichsaison mit diesen Überlegungen noch immer nicht vollständig geklärt ist, deshalb zum Schluss der Hinweis: Wer zusätzliche Informationen hat, möge mit schreiben oder einen Kommentar hinterlassen. Ich freue mich über jede Nachricht, die mehr Licht in die Angelegenheit bringt. Schließlich ist das Entsorgen der Fortpflanzungsopfer keine angenehme Sache.

Mehr zum Thema findet sich in meinem Buch Amphibienbademeister – Zweitberuf am naturnahen Gartenteich.

14 Kommentare zu „Wie Kröten sterben

    1. Guten Morgen Nati,
      ja, das denke ich mir auch, aber in diesem Fall erfordert es ein bisschen Zen-Meditation. Die Paarungszeit der Kröten kann brutal sein. Letztes Jahr war auch noch der Winter lang. Da waren sie schon beim Eintreffen geschwächter. Dieses Jahr teilt es sich auf einen längeren Zeitraum auf, das ist besser.
      Liebe Grüße, Richard

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  1. Die natur hat immer eine Lösung parat. Super interessanter Beitrag! Lustigerweise habe ich vor ein paar Tagen noch genau zu dem Thema einen Artikel gelesen, in dem darüber berichtet wurde, dass es im Amazonasbecken in Brasilien wohl eine Krötenart (Rhinella proboscidea) gibt, die sich auf den tödlichen Unfall beim Liebesspiel spezialisiert hat. Bei dieser Art hocken sich die Männchen auf das tote Krötenweibchen und drücken so lange mit den Vorder- und Hinterbeinen auf den Bauch des toten Weibchens bis der Laich herausgequetscht ist, um diesen dann zu befruchten. Die Forscher nannten diese Resteverwertungsstrategie „Funktionelle Nekrophilie“. VG Christian

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    1. Und immer, wenn ich denke, mein Beitrag ist bisschen zu deftig als Morgenlektüre…
      Super Kommentar, danke. Ich frage mich auch, ob die Kröten, die es nicht überstanden haben, dann nicht auch noch einen Zweck erfüllen. Die Kaulquappen fressen eigentlich nur weiche pflanzliche Abfälle, Detrius. Die putzen den Teich. Vielleicht würden sie auch Aas verwerten. Bei mir kommen die Opfer jedenfalls raus, um Überdüngung vorzubeugen.

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  2. Wieder sehr gut!
    Ein beinhartes Geschäft – die Natur will es so und so gibt es kein Federlesen.

    Ich hatte ja mal ein Insektenfräulein (Rainfarn-Seidenbiene) beobachtet, das ständig attackiert wurde.Die Männchen flogen mit Karacho und Vehemenz auf ihr „Opfer“. Dieses Weibchen schüttelte sie aber meist sofort ab, flog davon und kehrte sehr schnell wieder an ihren Platz zurück, wo es nahezu sofort wieder attackiert wurde.
    https://kopfundgestalt.com/2018/07/15/uberrumpelungsversuche/

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    1. Ja, Fortpflanzung funktioniert in der Natur oft ohne Rücksicht auf Verluste. Bei den Insekten hat das Imago oft gar keine andere Aufgabe. Die Larve frisst quasi noch für sich selber, das fertige Insekt muss sich reproduzieren und die Art erhalten.

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  3. Guten Morgen miteinander, ich sehe, die letzten Beiträge sind aus dem 2019, aber jedes Jahr hoffentlich finden die Kröten- und Froschwanderungen mit Ablaichen statt. Bei mir im Teich leider zum zweiten Jahr in Folge sterben die Laichschnüre der Erdkröten ab. Erst werden einzelne Eier weiss, nach einer Woche die gesamte Schnur. Das macht mich unendlich traurig, vor allem deshalb, weil bei uns weit und breit keine Dünger- und Gülleneingaben stattfinden und ich meine, wir hätten eine gute Umgebung für Amphibien. Weiss jemand, was das sein kann, dieses Weisswerden und Sterben des Laichs? Ich finde in der gesamten Literatur keine Hinweise und habe mich auch schon bei Naturschutzorganisationen erkundigt. Ich bleibe ratlos. Danke für eure Hinweise

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    1. Liebe Maria,
      tut mir Leid, das zu hören. Bei uns laichen sehr viele Erdkröten und auch mehrere Froschpärchen. Von den Erdkröten ist alles voll mit Laichschnüren. Ausfälle beim „Schlüpfen“ gibt es aber bei keiner Amphibienart.
      Hast du die Möglichkeit, den pH-Wert deines Teiches zu messen? Auch der Salzgehalt kann eine Rolle spielen. Ich bilde mir ein, dass ich in einem meiner Handbücher darüber gelesen habe, und es hat entweder mit dem Säuregrad oder mit dem Salzgehalt zu tun.
      Falls es für dieses Jahr noch nicht zu spät ist: Kannst du ein paar Erdkröteneier entnehmen und in ein kleines Aquarium mit frischem Leitungswasser setzen. Die sollten sich an und für sich mit Salatresten druchfüttern lassen. Ich habe einmal gezählte zehn Eier entnommen und hatte im Juni zehn kleine Kröten. Also keine Ausfälle diesbezüglich. Die Reduktion kommt bei uns nur durch die Fressfeinde.
      Gut ist, dass es bei euch noch Amphibien gibt. Der Rest sollte sich klären lassen. Wenn nicht dieses Jahr, dann nächstes. Es liegt ziemlich sicher an den Wasserwerten und für pH und Härtegrade gibt es kostengünstige einfache Tests im Aquarienbedarf.
      Liebe Grüße, Richard

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    2. Bei Dieter Glandt, Heimische Amphibien, 2014, Seite 130, findet sich auch eine Beschreibung dazu mit Foto. Die Weißfärbung kommt durch mikroskopisch kleine Schimmelpilze. Ursache kann saures Wasser sein. Der pH-Wert liefert da schnell genauere Information. Ist er zu niedrig, hilft Kalk. Ist er zu hoch, ist das Wasser wahrscheinlich zu hart. Nachfüllen sollte man dann immer mit Regenwasser. Das Leitungswasser ist dann wahrscheinlich zu kalkhaltig, und das konzentriert sich durchs Verdunsten über die Jahre im Teich.

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