Zwei Krähen, zwei Tauben

Manchmal könnte ein und dieselbe Tierart unterschiedlicher nicht sein. Die Krähe auf dem linken Bild sitzt vielleicht zwanzig Meter entfernt auf einem Baum. So vorsichtig konnte ich sie gar nicht anvisieren, dass sie es nicht bemerkt hätte. Unmittelbar nach dem Auslösen ist sie weggeflogen und hat sich einen bequemeren Platz gesucht.

Ganz anders die Krähe auf dem rechten Bild. Sie verscheucht gerade resolut eine Gruppe Enten und Möwen und lässt sich dabei auch von einem Fotografen nicht beirren. Die Fluchtdistanz ist mit drei, vier Metern noch lange nicht unterschritten. Aber worin liegt der Unterschied?

Es sind beides freilebende Nebelkrähen, und trotzdem sind sie in ihrem Verhalten so verschieden wie Nacht und Tag oder  – Stadt und Land, genau. Die linke Krähe ist in Unterkärnten zu Hause. Sie hat gelernt, den Menschen aus dem Weg zu gehen. Auf dem Land gilt sie als Schädling, der die Felder plündert. Wenn ihre Art überhand nimmt, werden Abschussquoten festgelegt. Für sie ist es deshalb besser, unauffällig zu bleiben. Auf die rechte Krähe schießt niemand. Im Wiener Stadtpark würden sich sofort die Pensionisten beschweren. Schließlich müssten sie sonst mit ihren Essensresten direkt die Ratten füttern, wenn es keine Vögel gebe.

Wenn man sich in einem Wiener Park auf die Erde kniet, um Vögel zu fotografieren, läuft der Zoomschalter in die falsche Richtung. Ständig muss man Brennweite reduzieren, um das Motiv im Bild zu behalten. Das gilt für Enten, Krähen und Tauben gleichermaßen. Bei den Tauben ist der Kontrast zwischen Stadt und Land fast noch größer, und das hat einen zusätzlichen Grund, wie man auf den folgenden Bildern erkennen kann.

Stadt- und Landtauben gehören meist unterschiedlichen Arten an. Das linke Bild zeigt eine Türkentaube auf der Stromleitung sitzend, die über unseren Garten verläuft. Auch hier hat das Teleobjektiv nachhelfen müssen, und ein zweites Foto gab es nicht. Da war der Vogel schon weg.

Die Stadttaube auf dem rechten Bild ist eigentlich eine verwilderte Haustaube, und diese stammt wiederum von der Felsentaube ab. Verwildert sind diese Tauben schon in der Antike, aber das Haustiergen wohnt ihnen immer noch inne. Wenn sie einen Menschen sehen, der sich vor ihnen niederkniet, stellen sie sich in erster Linie die Frage, was der gute Onkel mitgebracht hat.

Die Zuchtauswahl bei der Domestikation erklärt aber nicht alles. Schließlich gibt es eine Reihe von Tierarten, die in der Stadt ihre Menschenscheu verlieren, und es ist faszinierend, wie genau sie wissen, wem sie sich nähern können und um wen sie besser einen Bogen machen. Es scheint so, als könnten nicht nur Haustiere, sondern auch ihre wildlebenden Verwandten unsere Stimmungen ziemlich gut einschätzen. Man kann davon ausgehen, dass Emotionen eine Erfindung sind, die die Evolution schon vor uns gemacht hat, und deshalb verstehen uns diesbezüglich auch Tauben und Krähen.

18 Kommentare zu „Zwei Krähen, zwei Tauben

  1. Die verwilderten Stadttauben bekommen auch regelmäßig eine Haustiergen-Blutauffrischung durch Brieftauben, die es nicht in den heimatlichen Schlag schaffen (und kein Züchter nimmt die zurück, wenn du eine findest). Eigentlich müsste man diese „Wettkämpfe“ hoch besteuern und davon Taubenhäuser in den Städten finanzieren um die Geburtenrate der Stadttauben klein zu halten. In zunehmendem Maße kommen jetzt auch noch weiße Hochzeitstauben dazu. Die sind in der Natur nun wirklich nicht überlebensfähig. Leute, warum macht ihr es nicht wie früher und streut Blumen?
    Die Fluchtdistanz von Wildtieren ist immer wieder faszinierend. Die Vögel in meinem Garten kennen mich, die Fluchtdistanz ist gering. (vor allem jetzt: Nu mach mal hin mit dem Futter, Alte!) Ein Neuzugang fällt mir zunächst mal auf, weil er mir gegenüber vorsichtiger ist als die anderen.
    Hier im „halbländlichen“ Raum, ist auch die Fluchtdistanz so irgendwie dazwischen. In den Gärten geringer, auf den Feldern höher.

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    1. Das erklärt, warum neue Farben bei den Stadttauben auftauchen. Mir fallen in letzter Zeit immer wieder „komische“, auch weiße Exemplare auf. Durchaus möglich, dass da einem Züchter was ausgekommen ist. Auf Hochzeiten gehe ich nur, wenn man mich zwingt und es sich nicht vermeiden lässt. Wäre nie auf die Idee gekommen, dass die dort weiße Tauben fliegen lassen. Eine Hochzeitstaube würde ich eher gebraten und auf dem Teller vermuten. Warum all diese Dinge erlaubt sind, weiß wahrscheinlich niemand. Man darf ja auch keine Ratten aussetzen.

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  2. Gut beschrieben, der Unterschied zwischen den menschengewohnten Stadt- und vorsichtigen Landvögeln, der einen als letzterer manchmal in ein schrulliges Licht setzt, wenn man wegen ein paar Krähen, Tauben oder Gänsen in vielen Metern Entfernung in Verzückung gerät, wo der Stadtmensch sie als städtische und sogar dreiste Mitbewohner kennt.

    Deine Bemerkung zu den Hochzeitstauben möchte ich unterstreichen – wieso wird der Unsinn erlaubt, wenn ansonsten das Aussetzen von Tieren und „Ansalben“ von ortsfremden Pflanzen in der Natur (sogar bei erstaunlich hoher) Ordnungsstrafe) verboten ist?

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    1. Danke. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist aber auch manchmal krass. Ich glaube, die Tiere domestizieren sich ein bisschen selbst. Die dreisteren gehen in die Stadt, die vorsichtigeren bleiben auf dem Land. Es ist wie eine freiwillige Zuchtauswahl zu Stadtkrähe, Stadtfuchs, -marder etc. Auf dem Land habe ich noch nie einen Marder oder Dachs gesehen, in der Stadt schon.

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  3. Ich beobachtete an der Donau, dass manche Stockenten wenn ich an ihnen vorbeigehe ruhig in Ufernähe schwimmen. Im Winter hingegen treffe ich manchmal Gruppen von Stockenten, die schon aus großer Distanz auffliegen. Ich vermute, dass die Flüchtenden Überwinterer aus einer anderen Gegend sind.

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    1. Vielleicht sind aber die weniger geschreckten nur aus der Großstadt auf Besuch. Die haben halt alle einen unterschiedlichen Charakter. Ist wahrscheinlich auch eine Überlebensstrategie. Wenn die vorbeikommenden Menschen freundlich sind und füttern, haben die frecheren einen Vorteil. Sind die Menschen hungrig und auf der Suche nach Geflügel, überleben eher die vorsichtigen.

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  4. Das Gegenüber einschätzen zu können, ist eine fast unabdingbare Errungenschaft.
    Wenn ich lese, daß selbst bestimmte einfache Mehrzeller „soziales“ Verhalten ihrer gleichartigen Nachbarn (kooperieren sie, wenn es nötig ist?) quittieren und sie in der Zukunft nicht mehr „miteinschliessen“, dann sind alle diese Fähigkeiten schon recht früh nötig gewesen, um einen Unterschied zu machen.

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    1. Auf einer einfachen Ebene gehört diese Fähigkeit, das Gegenüber einschätzen zu können, wahrscheinlich von Anfang an zum Leben dazu. Scheint ja auch logisch, weil es einen wichtigen Überlebensvorteil bietet. Trotzdem hat sich die Wissenschaft lange geweigert, den Tieren solche Fähigkeiten zuzuordnen. Mittlerweile gibt es auch Untersuchungen, die behaupten Ameisen würden den Spiegeltest bestehen. Dabei malt man den Tieren eine Markierung auf den Körper und schaut. wie sie reagieren, wenn sie sich selbst im Spiegel sehen. Von Vögeln weiß man, dass sie diesen Test bestehen. Bei den Ameisen bin ich ein bisschen skeptisch.

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      1. Den Spiegeltest bei Ameisen???
        Das wäre neu!

        In letzter Zeit rudert man ja wieder etwas zurück, was die Intelligenz von Tieren und auch Pflanzen betrifft.
        Bestimmte Intelligenz ist eben nur Menschen eigen: Bewusstsein, Ich, kulturelles Lernen/Aneignung – auch Sprache. Aber Tiere können natürlich weit mehr als etwa vor 30 Jahren gedacht.

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      2. Ich glaube, in „Die Sprache der Tiere“ von Karsten Brensing war das mit dem Spiegeltest bei Ameisen zitiert. Leider vergisst man die Quelle immer vor dem Inhalt. 😉

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      3. Mittlerweile habe ich auch die Stelle wieder gefunden. Karsten Brensing zitiert auf Seite 96 folgenden Artikel:
        Marie-Laire Cammaerts, Roger Cammaerts: Are Ants (Hymenoptera, Formicidiae) Capable of Self Recognition? Journal of Science (2015) 5, S. 521-532. Das kann man sich als PDF downloaden und es geht tatsächlich um den Spiegeltest bei Ameisen: http://www.journalofscience.net/viw/5/7 .

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      4. Allerherzlichen Dank !!

        Ich hatte in den letzten Tagen darüber nachgedacht – und es nicht für möglich gehalten.
        Von Kempermann (Neurowissenschaftler) weiß ich, wie ein Phänomen zig Erklärungen zulässt und man daher durch entspr. Verifikationsversuche nachweisen MUSS, was das Phänomen genau bedeutet und aussagt.
        Selbst bei Vögeln sagen ja einige, daß das Kratzen an den aufgebrachten Punkten ein Hinweis-Signal an den vermeintlichen Artgenossen sein könnte.

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      5. Schräg ist es jedenfalls. Man fragt sich, wie man auf die Idee kommen kann, sowas zu untersuchen. Egal, wie man es interpretiert, der Ansatz ist jedenfalls bemerkenswert und unterhaltsam.

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