Hamster im Novemberglück

Nicht jedes Tier kann man im eigenen Garten haben, deshalb gibt es heute einen Besuch im „Garten“ meiner Großmutter. Sie liegt seit 2003 auf dem Meidlinger Friedhof in Wien. Die Fotos in diesem Beitrag habe ich unweit von ihrem Grab aufgenommen.

Im November wird ja traditionell der Toten gedacht – wahrscheinlich, weil dieser Monat so nass, kalt und dunkel ist wie die Erde, in der die Verstorbenen ruhen. In Wien ist der Herbst besonders grau und verregnet, der Himmel ist normalerweise wolkenbedeckt und ein steifer Wind drückt einem die Kälte in die Knochen. Nur am ersten November ist alles anders. Da scheint immer die Sonne und jeder geht auf den Friedhof. Es ist wie ein großer Jahrmarkt – man trifft die Verwandtschaft, legt ein paar Blumen nieder und geht anschließend zum Wirten.

Sobald Allerheiligen und Allerseelen vorüber sind, hat man auf dem Friedhof wieder seine Ruhe. Ich bin heute aus zwei Gründen hier: Erstens ist der November für jemanden, der einen Blog über Tiere im Garten schreibt, eine relativ trostlose Zeit. Man muss schon gezielt nach ganz besonderen Arten suchen, die jetzt noch aktiv sind. Und zweitens hat Lutz Prauser in seinem Blog die Frage nach dem Novemberglück gestellt: Gibt es Gründe, den November zu genießen?

Ich habe lange darüber nachgedacht und kann beim besten Willen keine positive Antwort geben. Der November ist für mich wie ein graues Loch in der Zeit zwischen Herbsternte und Winterfreude. Und weil das kein sehr geistreicher Beitrag zum Thema Novemberglück wäre, kommt die Antwort auf Lutz Prausers Frage heute von den kleinen Freunden auf dem Meidlinger Friedhof.

HamsterportraitDer Feldhamster war noch bis in die 1970er Jahre in landwirtschaftlichen Gebieten weit verbreitet und galt als Ernteschädling. Im ländlichen Bereich ist er wahrscheinlich noch immer nicht gern gesehen und gilt mittlerweile als vom Aussterben bedroht. Ganz anders ist die Situation in der österreichischen Bundeshauptstadt. Viele Stadtgärten verfügen in Wien über ansehnliche Hamsterpopulationen.

Normalerweise sind die Tiere nacht- und dämmerungsaktiv. Hier auf dem Meidlinger Friedhof hat man aber kein Problem damit, die scheuen Tiere am Nachmittag vor die Linse zu bekommen. An das Fotografieren sind sie mittlerweile gewöhnt.

Hamster zwischen GräbernDie neugierigen Menschen halten die wenigen innerstädtischen Fressfeinde auf Distanz. Gleichzeitig ist die Zahl der Artgenossen groß und man muss deshalb auch untertags schauen, dass man satt wird. Wie bei vielen anderen Tierarten ist auch bei den Feldhamstern der Unterschied zwischen Stadt- und Landpopulation wie Tag und Nacht. Vor allem im Herbst sind die kleinen Nager hier zwischen den Gräbern überall und machen das, wofür sie bekannt sind: Hamstern was die Backen hergeben.

Hamster und BlumenUnd Futter findet man auf einem Friedhof genug. Aus einem unerfindlichen Grund gibt es fast das ganze Jahr über frische Blumen, von denen einige überaus wohlschmeckend sind. Nicht immer bringt diese Naschsucht den kleinen Nagern Glück. Dieses Jahr haben Anrainer über zahlreiche tote Hamster auf dem Friedhof berichtet. Die genauen Ursachen sind nach wie vor ungeklärt. Streunerkatzen, Füchse und Krankheiten kämen in Betracht. Es könnten aber auch Friedhofsbesucher oder -bedienstete sein, die für das Treiben der Tiere kein Verständnis haben. Kontrollen und eine Infokampagne haben geholfen, die Zahl der Kadaverfunde einzudämmen. Zusätzlich wurde eine ausführliche Hinweistafel aufgestellt, die für Akzeptanz wirbt:

Hinweistafel über Hamster am Friedhof

Meine Großmutter hat früher immer jede Natursendung angesehen, die im Fernsehen lief. Wenn heute die Feldhamster rund um ihr Grab herum tollen, kann ich nur sagen: Der Kreis schließt sich. Am Ende fügt sich im Leben eines zum anderen – vielleicht nicht immer im Leben, manchmal auch erst danach. Meine Großmutter hätte sich jedenfalls genau so eine Ruhestätte gewünscht – auf einem Friedhof voller Feldhamster.

Stehender HamsterDie Nager haben dieses Jahr besonderes Glück. Eigentlich sollten sie längst unter der Erde verschwunden sein, aber die Witterung ist diesen November besonders mild. Gleichzeitig haben die Tiere ihre Ruhe. Nur hie und da kommt ein Fotograf vorbei, um für seinen Blogbeitrag zu recherchieren. Wenn sich die Feldhamster belästigt fühlen, richten sie sich auf. Die dunkle Unterseite wirkt angeblich bedrohlich, und die Nager schrecken ihre Fressfeinde gleichzeitig durch lautes Fauchen. Bei uns Menschen zieht das irgendwie nicht. Auf uns wirken die wuscheligen Tiere einfach nur putzig. Sie lassen sich auch nicht lange von ihrer Tätigkeit abhalten. Sobald man einen Schritt zurück macht, stopfen sie sich wieder die Backen voll. Man kann halt nie genug Futter einlagern.

Womit wir bei der Antwort auf die Frage wären, wofür der November gut ist. Eigentlich könnte der Oktober ja gleich in den Winter übergehen. Stattdessen hält die kalte Jahreszeit noch einmal inne, und die Hamster haben genügend Zeit, ihre Vorräte einzulagern. Mindestens zwei Kilo Futter braucht so ein Hamster für die kalte Jahreszeit, und wer im Oktober noch nicht genug eingelagert hat, der kann das jetzt nachholen.

Ich halte es mit den Hamstern und frage mich im November immer, welche Besorgungen dieses Jahr noch anstehen. Die erledige ich dann tunlichst, und im Dezember bringt mich außer für Lebensmittel niemand mehr in ein Warenhaus, denn es gibt etwas, was noch schlimmer ist als der grau-nasse November, und das ist einkaufen bei Weihnachtsmusik…

 

23 Kommentare zu „Hamster im Novemberglück

    1. Und dann auch noch für alle in der Großstadt. Ich habe es auch kaum glauben können. Beim ersten Besuch vor einer Woche habe ich an der gleichen Stelle nichts gesehen. Dann hat mir gestern ein Freund eine Führung gemacht, er hat mir die ersten Tiere gezeigt, und plötzlich habe ich selbst auch rundum welche entdeckt. Man trägt dann so ein inneres Lächeln mit sich herum.

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      1. Wenn du mal nach Wien kommst, kannst du dich gern melden, solange es nicht im Winter ist. 😉 Es besteht nicht einmal die Gefahr, dass die Hamster als Touristenattraktion überlaufen werden. Der Friedhöfe gibt es in dieser Stadt nämlich viele, und der Zentralfriedhof hat zum Beispiel seine eigene Population. Ein Feldhamsterfoto im Wikipedia-Eintrag stammt sogar von dort, und das ist sicher schon eine ältere Aufnahme.

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    1. Die Hamster haben mich beim Fotografieren so intelligent angesehen, als wüssten sie genau, was ich tue. Die haben öfter Fotografenbesuch. Und ihre Bauten finden sich auch in den angrenzenden Parks. Zwei-, dreihundert Meter weiter ist ein Spital, das hat auch eine Hamsterpopulation. Die Natur braucht ein bisschen Platz für ihre Nischen und tolerante menschliche Mitbewohner, dann wird das wie von selbst.

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      1. Das muss schon ein aussergewöhnliches Zusammentreffen sein, so zwischen Mensch und menschen-erfahrenen Hamstern. Mir ist überhaupt noch keiner begegnet, da finde ich deine Bilder und diesen Lebensraum um so interessanter.
        Ich folge dem Blog einer jungen Frau (Miss Tueftelchen), die als Friedhofsgärtnerin tätig ist, und die auch immer wieder über die Tierwelt auf dem Friedhof schreibt, aber bei ihren Aufzählungen war noch kein Hamster dabei.

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      2. Es gibt manche Tiere, die habe ich bislang auch nur in der Stadt gesehen. Im Frühling ist mir zum Beispiel ein Dachs beim Radfahren begegnet. Grüne Inseln wie Parks und Friedhöfe sind da ein gutes Pflaster. Die Hamster auf dem Friedhof sind angeblich in den 90er Jahren eingewandert, als ihr ursprüngliches Gebiet verbaut wurde. Und sie haben Ansprüche an den Boden. Wo es nicht lehmig-sandig ist, wird das nichts. Die müssen unter den Bodenfrost. Das sollte aber auf den meisten Friedhöfen passen. Dort lässt sich immer gut graben.

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  1. Vielen Dank fürs Mitmachen bei der Blogparade. In der Tat, ein ganz besonderer Glücksmoment, freilebend Tiere beobachten zu können, die so selten sind. Und dann noch vor die Linse zu bekommen – das ist ja fast ein Sechser im Lotto.
    Liebe Grüße
    Lutz

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    1. Es ist schon bemerkenswert, dass Feldhamster, die in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg laut Wikipedia mittlerweile als ausgestorben gelten, in einer Großstadt wie Wien seit über 20 Jahren in den Parks immer häufiger werden. Schön, dass die Natur diese eigene Form von Intelligenz hat. Das kompensiert einige unserer Dummheiten. Und: hat Spaß gemacht, zu deinem Thema nach einer Idee zu suchen, auch wenn der November nicht jedermanns Sache ist, wie auch schon andere Beiträge angemerkt haben.
      Liebe Grüße
      Richard

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  2. Hallo Richard.
    Ich finde es äußerst witzig diese Hamster so zahlreich zu sehen.
    Der Eine mit der Schwarzen Unterseite sieht aus, als ob er ein Lätzchen trägt.
    Ich persönlich mag den November sehr. Grau und nass, manchmal noch mild und sonnig. So kann man sich langsam auf die dunkle Jahreszeit einstellen.
    LG, Nati

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    1. Hallo Nati,
      wir haben ungefähr vier oder fünf Hamster gesehen, die noch unterwegs waren. Den schwarzen Bauch haben sie alle, der soll aussehen wie ein aufgerissenes Maul mit Fangzähnen, wenn sie sich aufrichten.
      Ich habe mir angewöhnt, im November Rad zu fahren, da merkt man, dass es nicht so schlimm ist. Aber mögen tue ich ihn noch nicht wirklich.
      Liebe Grüße, Richard

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    1. Ja, es ist sicher ein Ausweichprozess, wobei der Hamster ja ein geschickter Kulturfolger ist. Das Feld in seinem Namen hat er wegen des Nahrungsangebots für sich entdeckt. Jetzt zieht er in die Stadt weiter. Am Meidlinger Friedhof gibt es übrigens auch einen Fuchs. Die Fressfeinde kommen also nur etwas später.

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      1. Füchse gibt es überall wo es Mäuse und Ratten gibt, in meinem Garten, in jeder Stadt in Parks und Friedhöfen. Ich habe schon in den frühen 90ern am hellen Tag im botanischen Garten Berlin einen Fuchs gesehen. Nur sind sie meistens nachtaktiv.

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      2. Ich habe noch nie einen freilebenden Fuchs gesehen. Meinem Sohn ist vor zwei Wochen in Wien einer begegnet, es gibt sie also zahlreich, aber ich bin seit fast 30 Jahren nicht mehr nachtaktiv, deshalb entgeht mir das. 😉

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      3. Ich habe meinen Gartenfuchs auch bisher nur dreimal gesehen. Aber öfter gerochen. Einmal war er an meinem geplanten Gemüsebeet beschäftigt, einmal sind wir abends spät vor der Kellertür ineinander gerannt und einmal habe ich von oben gesehen, dass er auf dem Feld am spielen war. Ich weiß aber nicht, ob er noch lebt, weil die Füchse dieses Jahr fast alle Räude haben.

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  3. Wieder toll geschrieben, über einen Sachverhalt der mir nicht bekannt war— ich hatte keine Ahnung von Hamstern auf Friedhöfen. Aber der letzte Satz ist der absolute Clou

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